Journalismus 2014: Es dreht sich was!
2Zeit, dass sich was dreht im deutschen Journalismus? Ja. Und glücklicherweise tut sich gerade richtig viel. Zeit also, mal zu jubeln, statt zu jammern.
Jammern, immer nur jammern. Das kennen wir vom deutschen Journalismus im Jahr 2014. Das böse Internet. Die wegbrechenden Anzeigen. Zu viel PR und Marketing, zu wenig Journalismus. Schlechte Bezahlung, Ausbeutung und Entlassungswellen in den Verlagen… Auch wir bei LousyPennies sind nicht ganz dagegen gefeit, obwohl wir uns eigentlich als Mutmacherportal für alle Journalisten im digitalen Wandel verstehen. Zeit, einmal darüber zu reden, dass sich 2014 unglaublich viele Dinge getan haben, die Mut machen, die zeigen, dass es viele faszinierende Ideen gibt, die Aussicht auf Erfolg haben, sowohl wirtschaftlich als auch journalistisch. Denn während viele von uns gebannt darauf schauen, was da gerade mal wieder bei Spiegel, stern und Focus abgeht, passieren die wirklich interessanten und inspirierenden Sachen abseits der alten Dickschiffe.
Fangen wir bei dem Mann an, der mich zu diesem Beitrag inspiriert hat: Julian Heck. Ein (blut)junger Journalist, der gerade mit den anderen jungen Journalisten Tobias Gillen und Ekki Kern gefühlt jede Woche einen neuen Newsletter auf den Markt wirft – und mir im Kommentar zu diesem Beitrag vorgeworfen hat, zu viel zu jammern und zu wenig zu machen. Unter der Übermarke techletter.de schreiben die drei inzwischen drei Newsletter: den Wearables Report, den Smart Home Report und den Connected Car Report. Dieser Mut, einfach mal loszulegen und dann richtig Gas zu geben, verdient Bewunderung.
Vorfreude auf die Krautreporter
Dann lasst uns über die Krautreporter reden. Was haben wir nicht im Vorfeld diskutiert. Zu wenig Frauen. Zu wenig Begeisterung. Zu abgehoben und zu wenig konkret… Alles egal. Gerade dürfen zwei Dutzend ausgewiesen gute Journalisten ihren Traum eines eigenen Magazins verwirklichen. Im Oktober soll es an den Start gehen. Das ist doch einfach wunderbar, ein Traum, den die Crowd – und ja auch institutionelle Spender wie die Rudolf-Augstein-Stiftung – ermöglicht haben. Ich finde das sensationell und freue mich riesig darauf, zu sehen, für was wir da gespendet haben.
2014 ist das Jahr des Crowdfunding
Überhaupt ist das Jahr 2014 das Jahr des Crowdfunding im deutschen Journalismus. Georg Dahm und Denis Dilba haben es geschafft, 37.176 Euro für ihr digitales Wissenschaftsmagazin „Substanz“ einzusammeln. Wir haben die Crowdspondents durch Deutschland geschickt, Jessica Schober auf Wortwalz und viele weitere Projekte wie zum Beispiel das tolle „Follow the money“ ermöglicht, bei dem Journalisten Schrottfernseher per GPS-Sender verfolgten. Ein paar Kollegen sind auch gescheitert beim Versuch, die Crowd zu begeistern. Aber hey, sie haben es versucht.
Dann das spannende Projekt Corretiv.org. Journalismus als gemeinnütziges Gut. Stiftungs- und crowdfinanzierte investigative Recherche, deren Ergebnisse dann Medien kostenlos zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt werden. Die Idee von David Schraven und seinem Team ist faszinierend und ich bin schon sehr gespannt auf die ersten Produktionen.
Der Journalismus wird weiblicher
Fasziniert bin ich auch, was die weibliche Seite des Journalismus angeht – denn viel zu lange war der deutsche Journalismus fast ausschließlich Männersache, insbesondere auf Chefredakteursebene. Unter dem Motto „Frauen bloggen besser“ hat sich das Portal BlogF als zentrale Sammelstelle für tolle Texte von Bloggerinnen etabliert, mit Anita Zielina hat sich der stern eine echte Visionärin an die Spitze des Online-Portals und in die Print-Chefredaktion geholt. Mit „Edition F“ ist ein „digitales Zuhause für Business-Frauen“ entstanden. Und wer eine Tagung oder Konferenz veranstaltet, findet bei Speakerinnen.org garantiert die richtige Sprecherin oder Moderatorin, die die klassische Herrenrunde aufmischt.
Und nicht zu vergessen, die vielen jungen Kollegen, die sich natürlich auch zu Recht manchmal fragen müssen, warum zum Teufel sie heute eigentlich noch Journalist werden wollen. Die Antwort ist glasklar: Weil es der geilste Job der Welt ist – oder zumindest sein kann. Natürlich versuchen Verlage und Medienhäuser, die jungen Kollegen zunächst als günstiges Schreibvieh für Klickstrecken und Live-Ticker zu nutzen – und das ist aus wirtschaftlicher Sicht fast legitim und auch jeder Print-Journalist hat mal ganz unten angefangen.
Schrauben an der Zukunft des Journalismus
Doch viele der jungen Kolleginnen und Kollegen nutzen die Zeit neben ihrem Brötchenjob, um selbst ein bisschen an der Zukunft des Journalismus zu schrauben. Gerne bin ich zum Beispiel zu Gast bei der Runde von jungen Datenjournalisten, die sich regelmäßig in München trifft (Sorry, hab den letzten Termin gestern verpasst!). Staunend bewundere ich dann, was die Mädels und Jungs so drauf haben und mit welch kreativen Ideen sie ihre Visionen umsetzen.
Und was hat das Internet in den letzten Jahren nicht alles an neuen „Stars“ geschaffen. Allen voran die Satireseite Der Postillon mit einer Reichweite, die so manche Tageszeitung in den Schatten stellt. Dann die tolle Karrierebibel von Jochen Mai oder das Lawblog von Udo Vetter. Im Videobereich ist es definitiv Tilo Jung mit seinem Format Jung & Naiv. Allen gemeinsam ist: Sie haben einfach aus Spaß und Freude angefangen, der (finanzielle) Erfolg kam erst später.
Ich bewundere die älteren Kollegen
Auch die vielen älteren Kollegen bewundere ich, die sich aufmachen, doch noch einmal etwas Neues zu lernen. Ich war ernsthaft erstaunt und gleichzeitig glücklich, wie viele Kolleginnen und Kollegen jenseits der 20 und 30 sich in unser Bloggerseminar gesetzt haben und mit welcher Begeisterung, sie sich nun dem neuen Medium widmen. Ein Vorbild ist für mich da auch immer Michael Spreng mit seinem Blog Sprengsatz.de. So kundig wie der Top-Journalist und Politikberater über die deutsche Politik schreibt, kriegt das kein auch noch so internetaffiner Jungjournalist hin – ihm fehlt einfach die Erfahrung.
Und genau das Beispiel von Michael Spreng, den ich hier für die W&V ausführlich interviewen durfte, ist es, was mir immer wieder zeigt, dass es dem Journalismus an sich völlig schnuppe ist, ob er nun auf Papier gedruckt oder digital verbreitet wird. Es sind die Köpfe, die hinter den (geschriebenen) Worten stehen. Einem Heribert Prantl kann es im Prinzip ebenso egal sein, wie einem Stefan Aust, ob seine Texte mit Druckerschwärze auf totes Holz gedruckt werden oder über das Display eines Smartphones flimmern. Deshalb hoffe ich sehr, dass es auch den großen Tankern wie Süddeutsche, FAZ und Spiegel gelingen wird, die digitale Transformation hinzubekommen – und zwar mit Top-Journalismus.
Ganz sicher hat Aust Recht, wenn er sagt, dass es dafür Menschen in Führungspositionen braucht, die eben nicht nur digital denken, sondern auch „eine inhaltliche Linie vorgeben und eine gute Titelgeschichte von einer schlechten unterscheiden können“. Wenn man das nicht in einer Person findet, warum nicht im Team, so wie jetzt bei der Süddeutschen?
2014 ist das Jahr von Paid Content
Was man bei allem nicht vergessen darf: 2014 ist auch das Jahr des Paid Content. Nicht nur, dass immer mehr Verlage Bezahlschranken hochziehen, es gibt auch für Einzelkämpfer und Blogger neue Möglichkeiten, Geld zu verlangen. Das auch von uns genutzte LaterPay ist nur ein Beispiel. Andere Start-Ups wie etwa Plenigo stehen bereits in den Startlöchern, die einfachen und benutzerfreundlichen Bezahlsysteme zu liefern, die wir künftig brauchen werden. Dass manche Bezahllösungen vom Leser noch nicht wirklich angenommen werden, sollte uns nicht davon abhalten, es weiter zu probieren.
Zeit, Wald zu kaufen…
Zum Schluss noch eine kurze Geschichte, die mir neulich ein Freund erzählte: Er sprach von einem Bekannten, der Anfang der 1990er Jahre in großem Stil ostdeutschen Wald aufkaufte – und zwar für nen Appel und ein Ei. Alle sogenannten Experten erklärten ihn für verrückt. Doch er kaufte weiter. Heute, 20 Jahre später, hat sich die verrückte Investition als goldrichtig erwiesen. Der Käufer macht das Geschäft seines Lebens mit einem Produkt, das ihm am Herzen liegt. Und nicht nur mein Freund meint: Wenn der Online-Journalismus für den ostdeutschen Wald steht, dann ist jetzt die Zeit, Wald zu kaufen.
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Es gibt ja neben diesen Beispielen auch Unternehmen, die online richtig viel Geld verdienen. Allerdings sind diese eher Technologiefirmen wie Facebook oder Google als Verlage oder Onlinemagazine. Vielleicht liegt ja die (finanzielle) Zukunft in einer Verbindung von Technologieunternehmen und Journalismus. Jeff Bezos hat jedenfalls mit dem Kauf der Washington Post schon einmal den Anfang gemacht.
Der Wald von vor 25 Jahren rentiert sich heute, schön. Wie alt sind wir in 25 Jahren? Wer so geduldig ist, kann gleich auf die Erbschaft warten, die die meisten Journalisten als Mittelschichtskinder irgendwann machen werden.
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