Contributoria: Crowdfunding für Journalisten auf britisch
2Spannend: Die britische Crowdfunding-Plattform Contributoria hat eine ganz eigene Form entwickelt, um Journalismus durch den Schwarm zu finanzieren. Unser Gastautor Peter Dörrie nutzt sie – und berichtet von seinen Erfahrungen.
Von Peter Dörrie
IIch möchte diesen Artikel mit einer These beginnen: Journalismus und Crowdfunding, wie es in aller Regel praktiziert wird, passen nicht zueinander. Obwohl es Crowdfunding noch gar nicht so lange gibt, haben die großen Portale wie Kickstarter und Startnext schon heute allgemein anerkannte Spielregeln geprägt. Erfolgreich sind vor allem Projekte, die eine Reihe unterschiedlicher Belohnungen anbieten, von lächerlich günstig bis abgehoben teuer. Sobald die Zielgruppe die eigene Verwandtschaft übersteigt, muss zudem eine aufwendige und minutiös durchgeplante Marketingkampagne her. Dadurch wird Crowdfunding für Beträge im Bereich bis etwa 1.500 Euro unattraktiv.
Entsprechend sind vor allem elektronische Gadgets und Musikproduktionen bei Kickstarter und Co. erfolgreich. Journalistische Projekte sind stark unterrepräsentiert, sowohl insgesamt, als auch beim Anteil der erfolgreichen Kampagnen.
Wer sich als Journalist regelmäßig vom Schwarm finanzieren lassen will, braucht eine Alternative zum “klassischen” Crowdfunding.Das ist nur konsequent, denn im journalistischen Alltag geht es vor allem um mehr oder weniger lange Artikel und Reportagen, nicht um Buchprojekte und teure Recherchereisen ans Ende der Welt. Wegen 600 Euro eine Kampagne auf Startnext zu starten ist kaum zu rechtfertigen und was hat man potentiellen Unterstützern schon anzubieten, außer den fertigen Artikel? Wer sich als Journalist regelmäßig vom Schwarm finanzieren lassen will, braucht darum meiner Meinung nach eine Alternative zum “klassischen” Crowdfunding.
Ein Ausweg aus dem Crowdfunding-Dilemma
Contributoria hat die Chance, eine kleine Revolution bei der Bezahlung von qualitativ hochwertigem Journalismus auszulösen.Contributoria ist ebenfalls eine Crowdfunding-Plattform, aber sie macht vieles anders. Und darum hat das Projekt tatsächlich die Chance, eine kleine Revolution bei der Bezahlung von qualitativ hochwertigem Journalismus auszulösen. Schon jetzt geht es bei Contributoria nicht um “Lousy Pennies”: für bisher drei Artikel konnte ich selbst über die Plattform etwa 1.200 Euro umsetzen, ein weiterer Artikel von mir kann derzeit noch unterstützt werden.
Vom “klassischen” Crowdfunding unterscheidet sich Contributoria erheblich, unter anderem beim Finanzierungsmodell, beim Umfang und dem zeitlichen Ablauf einer Kampagne und in der Publikation der Ergebnisse. Contributoria hat dabei den Anspruch, die Crowd auch in die Recherche und Redaktion des Artikels maßgeblich einzubeziehen.
Der Funding- und Schreibprozess läuft auf Contributoria in drei Schritten ab. Am ersten Tag jeden Monats werden alle nicht finanzierten Vorschläge des Vormonats gelöscht und Autoren können anfangen, neue Vorschläge einzureichen. Manchmal kooperiert Contributoria dabei mit externen Geldgebern und gibt Schwerpunktthemen vor, an denen sich Autoren orientieren sollen, aber nicht müssen.
Viel Aufwand kann man als Autor bei seiner Projektvorstellung nicht betreiben: ein einzelnes Foto kann eingebunden werden, ansonsten bleibt nur ein Textfeld, um die Crowd vom Sinn des eigenen Vorschlags zu überzeugen. Der Editor kennt nur das dem HTML ähnliche Markdown. Links, Fett- und Kursivformatierungen müssen dementsprechend recht aufwendig in Texte eingearbeitet werden.
Wie üblich beim Crowdfunding muss man als Autor auch den verlangten Preis angeben und auch auf Contributoria gilt das alles-oder-nichts-Prinzip. Anders als auf anderen Plattformen kann man den Finanzierungszeitraum aber nicht frei wählen. Contributoria gibt grundsätzlich nur bis zum letzten Kalendertag des laufenden Monats Zeit. Wer also früh im Monat seinen Vorschlag einstellt, dem bleibt mehr Zeit zur Finanzierung.
Alle Vorschläge durchlaufen eine Moderierung durch das Contributoria-Team und werden dann zur Unterstützung freigeschaltet.Alle Vorschläge durchlaufen eine Moderierung durch das Contributoria-Team und werden dann zur Unterstützung freigeschaltet. Der vom Autor verlangte Geldbetrag wird dabei in einen Punktewert umgerechnet. Aktuell sind 350 Britische Pfund 501 Punkte, das Verhältnis kann sich zukünftig aber ändern.
Pfund und Punkte
Das hängt mit einer weiteren Innovation Contributorias zusammen. Das angedachte Finanzierungsmodell orientiert sich eher an dem in der Medienwelt üblichen Abonnement bzw. einer Clubmitgliedschaft. Zukünftig sollen die Leser idealerweise einen monatlichen Betrag an Contributoria überweisen. Dafür bekommen sie nach einem von Contributoria festgelegten Wechselkurs Punkte zugeteilt, die sie dann wiederum frei auf beliebig viele Vorschläge verteilen können.
Das System hört sich kompliziert an, macht aber bei näherer Betrachtung durchaus Sinn.Das System hört sich kompliziert an, macht aber bei näherer Betrachtung durchaus Sinn. Vor allem – und hier sollten alle Journalisten die Ohren spitzen – weil die Crowd ihre Punkte momentan noch umsonst bekommt.
Richtig gehört: aktuell bekommen alle Account-Inhaber jeden Monat 150 Punkte geschenkt, die Autoren werden aber mit harter Währung ausbezahlt. Das funktioniert, weil Contributoria als Startup betrieben und von einem liquiden Medienkonzern finanziert wird.
Contributoria will den Einstieg in den schwarmfinanzierten Journalismus schrittweise vollziehen.Meine Vermutung: Contributoria will den Einstieg in den schwarmfinanzierten Journalismus schrittweise vollziehen und diesen Prozess über den Wechselkurs zwischen Punkten und Bargeld steuern. Wenn man als Leser anfangs beispielsweise für 10 Pfund 100 Punkte bekommt, diese 100 Punkte für den Autor aber 100 Pfund wert sind, dann kann Contributoria so die Anzahl der finanzierten Artikel künstlich hoch halten. In dem Maße wie die Bekanntheit der Plattform und die Zahlungswilligkeit der Leser steigt, kann sich der Wechselkurs dem Verhältnis eins zu eins nähern, oder sogar ins umgekehrte umschlagen, sollte einmal massiver Kapitalüberfluss drohen.
Ist ein Vorschlag am Ende eines Monats erfolgreich finanziert, kann der Autor mit dem Schreiben beginnen. Contributoria bietet dabei die Möglichkeit, den Recherche- und Schreibprozess in einer unbegrenzten Anzahl von “Drafts” zu dokumentieren. Die Entstehungsgeschichte eines Artikels kann damit, zumindest theoretisch, vom Leser lückenlos nachvollzogen werden.
Kollaboration mit Hindernissen
Die Unterstützer eines Artikels können jeden Draft kommentieren und dem Journalisten so Korrekturvorschläge und Hinweise zukommen lassen. Damit versucht sich Contributoria nicht nur an einer Neudefinition der kollaborativen Finanzierung, sondern auch am kollaborativen Schreiben journalistischer Werke. Bisher sind die dazu zur Verfügung stehenden Werkzeuge allerdings stark eingeschränkt. Gerade längere Artikel würden von einer Kommentarfunktion im Text à la Medium profitieren.
Für das Verfassen des Artikels hat man als Autor etwa einen Monat Zeit..Auch für das Verfassen des Artikels hat man als Autor etwa einen Monat Zeit. Bis zum 25. des Monats muss die finale Version des Artikels stehen, sonst verliert man auch den Anspruch auf die zugesagte Finanzierung. Veröffentlicht werden alle fertigen Artikel dann im dritten Monat des Zyklus. Alle Werke sind für jeden Besucher der Homepage frei einsehbar und stehen unter einer nicht-kommerziellen CC-Lizenz. Damit dürfen die Artikel frei im internet geteilt und reproduziert werden, solange mit ihnen kein Geld verdient wird. Will beispielsweise der Guardian einen Artikel übernehmen, so muss er mit dem Autor ein seperaters Honorar verhandeln.
Auch damit weicht Contributoria erheblich von den sonst üblichen Praktiken im Crowdfunding ab, die in der Regel das Geld vor der Erbringung der Leistung freigeben und auch nur zahlenden Unterstützern Zugang zum Endprodukt bieten. Der dreistufige Finanzierungs- und Publikationsprozess von Contributoria erinnert stark an das alltägliche Handwerk freier Journalisten: pitchen, schreiben, einreichen, nur halt mit der Crowd anstatt dem Redakteur.
Die klare Regulierung des Kampagnen- und Schreibprozesses ist eine der größten Stärken von Contributoria.Die klare Regulierung des Kampagnen- und Schreibprozesses ist eine der größten Stärken, gleichzeitig aber auch aktuell die meiner Meinung nach größte Schwäche von Contributoria. Einerseits ist es super als Autor eine klare Finanzierungszusage zu bekommen bevor man viel Zeit und Energie in eine Recherche steckt. Andererseits sind 25 Tage Recherche für viele Projekte schlicht zu kurz, vor allem wenn man gleichzeitig von den Möglichkeiten der Plattform zur Interaktion mit den Lesern Gebrauch machen möchte. Es wäre super, wenn Contributoria in Zukunft Autoren die Möglichkeit einräumen würde, zwischen ein und zwei Monaten Bearbeitungszeit zu wählen. Bisher ist das laut Aussage der Verantwortlichen aber nicht geplant.
German speakers need not apply
Contributoria ist somit beileibe nicht die richtige Finanzierungsstrategie für jeden Journalisten und für jedes Projekt. Zum einen richtet sich die Plattform derzeit nur an englische Leser und Schreibende, zum anderen sind zumindest jetzt noch alle Freunde des Multimedia-Journalismus außen vor, denn Contributoria ist auf Ton- und Videoprojekte nicht eingerichtet.
Wegen der strengen Zeitvorgaben ist Contributoria darüber hinaus auch für größere Recherchen kaum die richtige Wahl. Sowohl die Einwerbung großer Geldsummen, als auch die Realisierung eines solchen Projektes dürfte innerhalb von je einem Monat schwierig sein.
Contributoria ist hingegen der bisher überzeugendste Ansatz für eine Schwarmfinanzierung des alltäglichen Journalismus.Das ist in meinen Augen aber nicht schlimm, denn für solche Projekte gibt es ja weiterhin Kickstarter, Startnext und Co. Contributoria ist hingegen der bisher überzeugendste Ansatz für eine Schwarmfinanzierung des alltäglichen Journalismus, auch wenn natürlich der Beweis noch nicht erbracht ist, dass die Plattform auch den Sprung zu einer echten Finanzierung durch den Leser übersteht.
Wer sich selbst ein Bild der Plattform machen möchte, hat in diesem Monat noch genug Zeit, einen eigenen Vorschlag einzureichen. Ich freue mich über Hinweise auf LousyPennies-Leser, die auf Contributoria aktiv sind. Ich selbst habe diesen Monat noch einen guten Teil meiner Punkte zu vergeben.
Über den Autor
Peter Dörrie ist freier Journalist und schreibt über Ressourcen- und Sicherheitspolitik in Afrika. Nach einem Studium der Entwicklungs-, Friedens- und Konfliktforschung berichtete er ab 2012 für verschiedene Medien aus Burkina Faso. Aktuell lebt er in Bonn und verdient den größten Teil seiner Lousy Pennies durch Publikationen in Online-Medien.
Twitter: http://twitter.com/peterdoerrie
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Homepage: http://www.peter-doerrie.de
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