Facebook ist mein bester Freund…
10„Social Publishing“ für Journalisten und Blogger: Warum wir Dank Facebook & Co. endlich wieder für den Leser schreiben dürfen – und das gefälligst auch tun sollten.
Gerade erst haben wir den zehnjährigen Geburtstag von Facebook gefeiert. Und wie so mancher Zehnjähriger ist das Baby von Mark Zuckerberg ein echter Rotzlöffel, der es einem richtig schwer machen kann, ihn zu lieben. Dennoch gibt es einen Grund, Facebook dankbar zu sein – und auch Twitter, Xing und anderen sozialen Netzwerken. Denn sie sind aktuell dabei, den digitalen Journalisten aus einer geradezu babylonischen Gefangenschaft durch Google zu befreien, die aufgrund der marktbeherrschenden Stellung von Google in Deutschland besonders drastisch ist. Doch was bedeutet das für uns Blogger und Journalisten?
Nun ja, in erster Linie bedeutet das wieder eines: Wir können, dürfen und sollen endlich wieder für den Leser schreiben – und nicht mehr für Google. Der Markwortsche Spruch von „Fakten, Fakten, Fakten. Und immer an den Leser denken!“, hatte sich in den vergangenen Jahren in den Köpfen vieler Online-Journalisten gewandelt zu „Keywords, Keywords, Keywords. Und immer an Google denken.“
Wir sind angekommen im Zeitalter des “Social Publishing”, das gerade den Journalismus grundlegend verändert.Doch nun sind zwei Dinge passiert: Erstens lernt die Haupt-Trafficquelle Google offensichtlich sehr, sehr langsam, journalistisch hochwertige Texte von Suchmaschinenoptimierungskrams zu unterscheiden. Zum anderen rückt plötzlich der Leser in den Vordergrund. Er ist der neue, der wichtigste Gatekeeper geworden.Aktuell rund 28 Millionen Facebook-Nutzer und noch einige Millionen Mitglieder anderer Netzwerke entscheiden durch einen Klick auf „Like“, „gefällt mir“ oder „teilen“ darüber, welcher Artikel in den sozialen Netzwerken erfolgreich wird („viral geht“). Sie entscheiden, welche Beiträge sie ihren Freunden empfehlen – und damit auch zunehmend, wie viele Besucher eine Webseite hat. Wir sind angekommen im Zeitalter des „Social Publishing“, das gerade den Journalismus grundlegend verändert, wie auch Dirk von Gehlen hier sehr schön beschreibt.
Doch wie oft in Digitalien ist aller Anfang mit viel Trash verbunden. So wie der anfängliche Erfolg des Internets unter anderem auch auf der umfassenden Verfügbarmachung von sexuellen Inhalten beruht (endlich war dieser Content ohne die Schranke „am Kiosk mit hochrotem Kopf danach fragen“ verfügbar), sind es jetzt die berühmten Katzen-Bilder, Gaga-Listen und Bier-Nominierungen, die die neuen Social-Publishing Seiten wie BuzzFeed, Elite Daily, Upworthy und Upcoming in Verruf bringen.
Doch während wir uns in der erbittert geführten Diskussion „Ist das noch Journalismus?“ aufreiben, vergessen wir viel zu oft die einzig wichtige Frage:
Wie kann ich den Erfolg von Social Publishing für meinen eigenen Journalismus nutzen?
Denn dass hauptsächlich Katzenbilder viral gehen, muss ja nicht heißen, dass nicht auch andere Inhalte durch die sozialen Medien erfolgreich werden können. Kurz gesagt: Qualitätsjournalismus, was immer man auch darunter versteht.
Viele Journalisten haben noch lange nicht erkannt, welche Chancen die sozialen Medien bringen. Viele Journalisten haben aber leider nicht erkannt, welche Chancen die sozialen Medien bringen. Für sie ist Facebook eine Datenkrake, eine Zeitvernichtungsmaschine, ein Spielzeug. Doch spätestens nachdem Facebook Ende vergangenen Jahres ankündigte, journalistische Inhalte verstärkt anzuzeigen (was bei mir allerdings auch die Angst auslöste, dass Facebook das ebenso willkürlich wieder runterschraubt), ist der sogenannte „Facebook-Referral-Traffic“ bei journalistischen Webseiten regelrecht explodiert.Um genauer zu sein: Nach Zahlen des Unternehmens Shareaholic sind die weltweiten Besucherzahlen, die durch Facebook generiert wurden, von November 2012 bis November 2013 um stolze 170 Prozent gestiegen, mit einem besonders hohen Anstieg im November 2013 mit Einführung der neuen Like-Buttons. Ende 2013 kamen mehr als 17 Prozent des Gesamttraffics über Facebook, Ende 2012 waren es gerademal 6,5 Prozent.
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Der Erfolg von „Der Postillon“ wäre ohne Facebook vielleicht gar nicht möglich gewesen.Ein wunderschönes Beispiel für die Wirksamkeit der sozialen Medien abseits von BuzzFeed & Co. ist für mich „Der Postillon“. Wer ihn nicht kennt: Der Postillon ist Deutschlands erfolgreichste Satireseite, zweifach mit dem Grimme-Preis geehrt – darunter im Bereich Information. Stefan Sichermanns Erfolg wäre ohne Facebook vielleicht gar nicht möglich gewesen. Wie er uns schon vor einiger Zeit im Interview erzählt hat, kommen seine Millionen Besucher fast ausschließlich über Facebook.
Ja, nun eignet sich offensichtlich Satire besonders gut, um viral zu werden. Doch hier mein Punkt: Warum sollte es nicht auch einem politischen/nutzwertorientierten/investigativen/lifestyligen Journalisten möglich sein, seine Artikel so zu schreiben, dass sie zumindest die Chancen haben, in den sozialen Netzen erfolgreich zu werden?
Es ist und bleibt unser Beruf, Inhalte so aufzubereiten, dass sie eine möglichst große Anzahl von Lesern begeistern.Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage, dass er sogar so schreiben muss, dass seine Artikel gerne in sozialen Netzwerken geteilt werden. Und zwar schon immer. Es ist und bleibt unser Beruf, Inhalte so aufzubereiten, dass sie eine möglichst große Anzahl von Lesern begeistern, beeindrucken, zum Nachdenken anregen – und sie schließlich dazu bringen, ihre Freunde in der realen und virtuellen Welt zu fragen: Hast Du das schon gelesen?Wie so vieles verlagert sich dieses „Hast Du das schon gelesen?“ zunehmend von den Stammtischen und den Büros ins Netz, und dort vor allem zu Facebook. Wie immer lohnt sich hier ein Blick über den großen Teich, um zu sehen, wohin die Reise für uns Journalisten geht. Während der Social-Media-Traffic bei den großen deutschen Nachrichtenseiten im Juni 2013 noch einstellig war – Klassenprimus Focus Online hatte gerademal 5,56 Prozent – waren es bei der Washingtonpost bereits zehn Prozent, bei der Huffingtonpost neun Prozent und der New York Times acht Prozent (Quelle: Statista). Inzwischen dürften hier noch ein paar Prozentpünktchen hinzugekommen sein.
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Immer an den Leser denken. Das ist eine Denke, die ich in 20 Jahren Print-Journalismus gelernt habe – und die nun ihre direkte Fortsetzung im Social Publishing erfährt. Mit dem Unterschied: Heute erfahren wir durch ein direktes Leser-Feedback in den digitalen Medien sofort, ob ein Artikel funktioniert. Früher (und natürlich auch heute noch) musste man dazu eine Marktforschung machen, wo man dann mit Methoden wie Reader Scan oder in Gruppendiskussionen versuchte, herauszufinden, welche Inhalte beim Leser besonders gut ankamen und welche nicht.
Die Schlagzeile entscheidet, ob die Zeitung gekauft wird oder nicht.Wer schon einmal bei einer Boulevardzeitung gearbeitet hat, weiß, wie lange und engagiert die Redaktion über die alles entscheidende Schlagzeile und jedes Element „über dem Bruch“ diskutiert. Denn sie entscheiden am Kiosk, im stummen Verkäufer und im Arm des Zeitungsverkäufers darüber, ob die Zeitung gekauft wird oder direkt auf dem Altpapier landet.Beim Print-Magazin-Machen lassen wir oft zehn oder zwölf verschiedene Cover-Varianten layouten und finden dann im „Putzfrauen“-Test heraus, welche wohl am besten bei der Leserin oder dem Leser ankommen könnte. Nur die Zielgruppe abends um acht in einem Redaktionshochhaus zu finden, stellt sich oft als recht kompliziert dar. Stunden- und tagelang haben wir schon über die Zeilen auf dem Titel diskutiert. Denn wir wussten, dass sie über den Verkauf am Kiosk entscheiden. Ja, manche Print-Redaktion testen sogar verschiedene Schlagzeilen in Online-Befragungen vorab auf ihre Wirksamkeit. Beim Spiegel weiß man angeblich nach jahrelanger Erfahrung: „Ein Hitler-Titel geht immer“.
Dass Software über die beste Überschrift entscheidet, ist nur eine logische Fortentwicklung des klassischen, leserorientierten Journalismus.Dass es nun ausgeklügelte Software bei BuzzFeed & Co gibt, die diesen Prozess quasi am offenen Herzen automatisiert, ist nur eine logische Fortentwicklung des klassischen, leserorientierten Journalismus. Je nach Viralität und Beliebtheit während des Veröffentlichungsprozesses entscheidet diese Software, welche Überschrift genutzt wird und welche Artikel auf der Startseite gezeigt werden. Doch verfassen sollte diese so wichtigen Texte immer noch der Journalist selbst. Eine echte Herausforderung!Und deshalb ist es so wichtig, dass sich jeder Journalist bewusst ist, nach welchen Mechanismen die sozialen Medien funktionieren. Natürlich kommt die Story oder die Nachricht an erster Stelle. Aber zum Unterrichtsplan der Journalistenschulen und bei Fortbildungen sollte es gehören, „teilbare Inhalte“ zu schreiben. Also Artikel, die bereits im Print-Objekt so angelegt sind, dass der Leser gar nicht anders kann, als ihn in den sozialen Netzwerken zu verbreiten – aufgrund einer perfekten Mischung aus Inhalt und „Verkaufe“. Wer so denkt, wird übrigens fast automatisch auch Inhalte schaffen, die vom neuen, qualitätsorientierten Google geliebt werden.
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An den Leser denken heißt nicht, dem Leser nach dem Mund zu schreiben.Natürlich wird es immer wieder Artikel geben, die nicht viral gehen und trotzdem erfolgreich werden. Es wird Artikel geben, die gar nicht erfolgreich sind, die wir aber schreiben, weil es uns ein Bedürfnis ist. Man sollte auch eines nicht vergessen: An den Leser denken heißt nicht, dem Leser nach dem Mund zu schreiben. Eine eigene Meinung, eine eigene, stark vertretene Haltung ist Pflicht.
Und deshalb sollte man sich auch darauf einrichten, dass es in den sozialen Medien zu erbitterten Debatten um die Inhalte und Stoßrichtung eines Artikels kommen kann und meistens auch wird. Dann heißt es, in die Diskussion mit dem Leser einsteigen – oder ihm die Deutungshoheit über den eigenen Artikel in den sozialen Medien überlassen. Wer sich hier als Autor bewährt, wird schnell merken, dass er sich einen echten Namen macht.
Wie auch immer, sollte zumindest eines klar sein: Wer sich als Journalist heute keine Gedanken über die Wirkung seiner journalistischen Arbeit in den sozialen Netzen macht, ist vielleicht nicht von gestern – aber nah dran.
P.S. Mache ich mich durch solch eine Denke abhängig von Facebook? Nicht mehr, als wir es schon von Google sind…
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Stimmt, „wir“ (also, „ihr“) seid jetzt nicht mehr von googles Algorithmus („was landet oben in der Trefferliste“) abhängig. Sondern von dem „was wird den friends als wichtig angezeigt“-Algorithmus facebooks‘.
Herzlichen Glückwunsch! :)
PS: Eure Artikel „sehe“ ich übrigens immer ganz klassisch-langweilig per mail.
Ja, vom Regen in die Traufe… ;-)
Ich kann die Wichtigkeit von Facebook bestätigen. Insbesondere bei neuen Projekten ist der Anteil sicher noch höher als dargestellt. Allerdings sollte man sich hüten, eine Trafficquelle als besten Freund zu betrachten. Auch FB wird das Potential beschneiden und monetarisieren wollen. Also Melken solange es geht und die eigene Marke aufbauen, damit man nicht auf – wenn es drauf ankommt – asoziale Konzerne wie Google und FB angewiesen ist.
100 Prozent Zustimmung – die Überschrift ist natürlich mit einem Augenzwinkern gemeint ;-)
Alles richtig, lieber Kollege. Ich stimme in allen Punkten zu, und trotzdem wird mir mulmig. Befördern wir damit doch zugleich die Journalismus-kost-nix-Mentalität. Zurückdrehen können wir das nicht. Also lasst uns zusehen, wie guter Journalismus trotzdem zum leben reichen kann. In diesem Sinne: Lasst uns die Federn spitzen…
…das ist ja genau die Frage, die im Mittelpunkt unserer Seite steht :-)
Einige Anmerkungen zu ein paar Passagen:
„Erstens lernt die Haupt-Trafficquelle Google offensichtlich sehr, sehr langsam, journalistisch hochwertige Texte von Suchmaschinenoptimierungskrams zu unterscheiden.“: So langsam ist die Entwicklung meines Erachtens gar nicht. Ich finde es erstaunlich, wie gut Google inzwischen in der Lage ist, stilistisch halbwegs ansprechende Texte zu erkennen und per Platzierung honorieren. Einerseits erschreckt es mich ein wenig, wie sehr die Maschine menschliches Denken und Lesen nachbilden kann, andererseits freut es mich natürlich, dass handgemachte Texte höher eingestuft werden als Link- und Keywordsammlungen. Der Begriff „Haupt-Trafficquelle“ trifft bei mir, zumindest im Standardbetrieb, auf Google schon lange nicht mehr zu. Das war nur zu Beginn meines Blogs der Fall. Heute kommt rund die Hälfte des Traffics direkt rein, also über Bookmarks oder RSS-Feeds. Suchmaschinen (derzeit zu rund 90 Prozent Google, was auch etwas weniger ist als im letzten oder vorletzten Jahr) machen rund ein Viertel aus. An Tagen mit spektakulären Nachrichten, verschiebt sich das deutlich zu Gunsten von Google, weil Leute anderswo etwas darüber gehört haben und dann „nachgoogeln“, aber meist sieht es wie geschildert aus.
„Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage, dass er sogar so schreiben muss, dass seine Artikel gerne in sozialen Netzwerken geteilt werden.“: Das ist sicher nicht falsch, aber nach meiner Erfahrung kommt der Facebook-Traffic in nur nachgeordnet daher, dass jemand einen Artikel gut findet und dies per „Gefällt mir“ oder das Teilen in seiner Timeline dokumentiert und damit seine Freunde aufmerksam macht. Vielmehr stammt der Facebook-Traffic ganz überwiegend aus meiner Facebook-Gruppe. Mit derzeit 456 Nutzern finde ich die schon sehr ordentlich für ein kleines Regionalblog, das dreieinhalb Kommunen betreut und selbst in diesem überschaubaren Gebiet nur einzelne Schlaglichter und keineswegs eine Voll-Berichterstattung liefert. Zumindest bei mir hat die Bedeutung von Facebook erst mal weniger mit der „Schreibe“ zu tun als mit dem Aufbau einer Community im Rahmen von Facebook (und auch von Twitter).
Auch hier ist das natürlich von der Nachrichtenlage abhängig: Wenn es irgendwelche spektakulären Blaulicht-Geschichten gibt, schnellen selbstverständlich die Likes und geteiliten Seiten und damit der Facebook-Traffic von außerhalb der vtaktuell-Gruppe nach oben.
Soviel nur mal aus meiner Sicht. Das mag bei anders aufgestellten Blogs wiederum vollkommen anders aussehen, so dass dort Google oder die „freien“ Facebook-Likes entscheidende Bedeutung haben, aber bei mir trifft das eben nicht zu.
Insgesamt bin ich natürlich ebenfalls vollkommen der Meinung, dass die alten journalistischen Tugenden auch über Facebook, andere Social-Media-Dienste und im Netz allgemein ebenso zu Erfolg führen wie auf gedrucktem Papier: klar und verständlich schreiben, Aktualität (im Netz viel wichtiger als per Print), die Interessen der Leser treffen, ihnen dabei aber nicht „nach dem Mund“ schreiben, gute Schlagzeilen und gute Fotos finden etc. Das hilft sowohl dabei, möglichst oft geteilt und geliked zu werden als auch dabei eine treue Nutzerschaft aufzubauen, egal ob sich das in einer Facebook-Gruppe oder in der abgespeicherten Bookmark im Browser ausdrückt.
Super, Danke Dir für diesen tollen Input – der hat dem Ganzen nochmal einen weiteren Blickwinkel hinzugefügt. Sehr interessant!
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