Anita Zielina: „Wir werden noch sehr viel ausprobieren“
3Sie ist Chefin von stern.de und stellvertretende Chefredakteurin des Print-stern. Hier erzählt Anita Zielina, wie sie die Marke stern im Digitalen weiter entwickeln möchte.
Anita Zielina wollten wir schon ganz lange sprechen. Denn die junge Österreicherin soll den guten, alten stern im Internet nach vorne bringen. Keine leichte Aufgabe. Denn wofür der stern im Internet steht, war uns in den letzten Jahren nicht wirklich klar – Spiegel Online & Co. hatten ihn im digitalen „Neuland“ längst abgehängt, zumindest bei den Zugriffszahlen.
Mit Anita Zielina, die am 1. Mai 2013 vom österreichischen Standard zu stern.de wechselte und im September 2013 auch stellvertretende Chefredakteurin des Print-stern wurde, scheint aber nun ein neuer Wind beim Online-stern zu wehen – was sicher auch mit dem neuen stern-Chefredakteur Dominik Wichmann zu tun hat. Das zeigt sich an vielen Stellen. So bei der Suche nach acht neuen Redakteuren, bei der Netz-Credibility wichtiger war, als der formale Lebenslauf. Oder bei der Entscheidung, Bloggern auf stern.de einen Platz zu geben.
So habe ich mich riesig gefreut, dass Stephan Goldmann und ich Anita Zielina bei der DLD-Konferenz in München endlich treffen und gemeinsam befragen durften.
„Wir befinden uns in einem großen Veränderungsprozess“
Hallo Anita, stern.de hat gerade acht neue Redakteursstellen geschaffen. Warum?
Ich bin dezidiert zu stern.de geholt worden, um die Marke im Digitalen neu zu erfinden und auszubauen. Ein Teil davon ist es, die Ressourcen auszubauen. Bisher hatten wir etwa 25 Redakteure …
…also deutlich weniger als zum Beispiel Spiegel Online.
Ja, deutlich. Aber die reine Kopfzahl sagt ja nichts aus. Man kann nicht sagen, dass man mit 20 bis 30 Leuten mehr plötzlich ein besseres Produkt macht. Aber es gibt eine gewisse Grundgesamtheit, die man braucht, um alle Ressorts zu besetzen, auch wenn mal jemand Urlaub hat oder krank ist. Eine Online-Redaktion ist ja auch kein 9-to-5-Betrieb.
Acht neue Stellen waren das eine. Das andere die Anforderungen in der Ausschreibung. Ihr habt geschrieben, dass für Euch „Instagram-Kanal, Blog oder Twitter-Credibility“ mehr zählen als der formelle Lebenslauf. Journalisten wolltet Ihr aber trotzdem einstellen, oder?
Ja, wir haben das nicht explizit reingeschrieben und wollten uns gezielt von der klassischen Art und Weise entfernen, wie bisher journalistische Stellenausschreibungen verfasst wurden. Mir war wichtig, dass Bewerber verstehen, worum es mir geht. Tatsächlich haben sich fast ausschließlich Journalisten mit Journalistenschul-Erfahrung beworben. Es hat also funktioniert.
Worum ging es Dir bei der Ausschreibung?
Ich wollte, dass man erkennt, dass wir Leute suchen, die Lust darauf haben, etwas Neues zu gestalten – und nicht auf 50 Jahre redaktionelle Planwirtschaft. Sie sollten die Leidenschaft mitbringen, neue Wege auszuprobieren und den Veränderungsprozess von stern.de mitzugestalten.
Und haben sich solche Kollegen beworben?
Ich habe noch nie so viele großartige Bewerbungen bekommen.Ja. Ich habe noch nie so viele großartige Bewerbungen bekommen. Rund 85 Prozent waren exzellent – eine knapp dreistellige Zahl. Ich habe im Auswahlprozess vier Wochen lang heftige Qualen ausgestanden.Wie viele Bewerber hast Du getroffen?
Etwa 40. Aber die Managing Editors hatten ein Mitspracherecht, denn eine Redaktion muss ja immer als Ganzes funktionieren. Da sollte die Chemie stimmen.
Die Entscheidung ist ja nun gefallen. Wie sieht eigentlich die Geschlechterverteilung aus?
50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer, obwohl wir das so nicht gesteuert haben. Ich freue mich über die ausgeglichene Verteilung. Wir versuchen zwar, Frauen in Führungspositionen zu bringen, aber bei diesem Auswahlprozess war das Geschlecht kein Thema. Vier jetzt festangestellte Kollegen hatten übrigens schon vorher frei für uns gearbeitet.
Bringt jeder der neuen Kollegen eine große Zahl an eigenen Lesern per Twitter oder anderen sozialen Medien mit?
Ich wollte ein klares Statement abgeben, dass man als (Online-) Journalist im Jahr 2014 ein Interesse für die sozialen Medien mitbringen muss.Nein. Ob die Bewerber jetzt einen oder 1000 Follower mitbringen, war mir gar nicht so wichtig. Ich wollte aber in der Ausschreibung ein klares Statement abgeben, dass man als (Online-) Journalist im Jahr 2014 ein Interesse für die sozialen Medien mitbringen muss. Wer sagt, dass ihn das nicht interessiert, ist falsch bei uns. Alle acht Bewerber haben mir zumindest dargestellt, dass sie ein glaubhaftes Interesse daran haben, in den sozialen Medien präsent zu sein und sie als Dialogkanal mit Lesern und der Branche zu nutzen.Sollen Eure Redakteure selbst zu eigenen Marken werden?
Ich möchte keine Blase von Leuten haben, die im stillen Kämmerlein bleiben und nicht sichtbar sind. Was ich generell sehe, ist, dass die Persönlichkeitsmarken im Journalismus immer wichtiger werden. Das zeigt schon die Entwicklung in den USA, wo viele Kolumnisten und Blogger längst zu eigenen Marken geworden sind.
In den USA vergeht aktuell kaum ein Tag, in dem nicht ein bekannter Blogger oder Kolumnist eine Medienmarke verlässt, um sein eigenes Ding aufzuziehen oder abgeworben wird. Hast Du keine Angst, dass Du Leute mühsam aufbaust und sie beim nächsten tollen Angebot wieder weg sind?
Ich freue mich sogar sehr, wenn ich Leute habe, bei denen es jeden Tag einen neuen Abwerbeversuch gibt.In dem Moment, in dem man Leute darin bestärkt, sich als eigene Person darzustellen, ist die unweigerliche Konsequenz, dass sie im Scheinwerferlicht stehen und auch für eine Abwerbung interessant werden. Das ist gewollt. Ich freue mich sogar sehr, wenn ich Leute habe, bei denen es jeden Tag einen neuen Abwerbeversuch gibt. Aber natürlich will ich sie behalten.Ein Argument für das Halten ist immer auch die Bezahlung. Noch immer verdienen viele Online-Redakteure deutlich weniger als die Print-Kollegen. Muss sich das ändern?
Dass die Onliner bei Gruner & Jahr nun auch das Pressversorgungswerk bezahlt bekommen, ist für mich ein erster und sehr schöner Schritt in die richtige Richtung.
Du selbst bist nun auch stellvertretende Chefredakteurin für den Print-stern geworden. Eine außergewöhnliche Entscheidung, die gerade auch bei der Süddeutschen mit der Berufung von Stefan Plöchinger in die Print-Chefredaktion ähnlich passiert.
Unabhängig davon, dass ich mich persönlich natürlich riesig gefreut habe, als Dominik Wichmann mich gefragt hat, ob ich das machen möchte, ist das für mich ein klares Zeichen, dass das Digitale für den stern immer wichtiger wird. Denn das sagt sich ja leicht – aber vom Sagen zum Tun ist es ein großer Schritt.
Wie haben die Print-Kollegen reagiert?
Ich hatte durchaus Ressentiments erwartet, aber es war ganz anders. Ich habe bis jetzt noch keine einzige Situation erlebt, in der ich den Eindruck hatte, dass ein Print-Kollege gedacht hat „Die ist ja nur von Online“. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass der stern als Ganzes selbst gar nicht glaubt, dass er schon so weit ist, wie er tatsächlich ist – nämlich schon ganz schön weit. Das Wichtigste ist für mich ist die Einstellung gegenüber dem Digitalen. Und die ist positiv.
Also keine Vorbehalte der alten Print-Redakteure gegenüber der neuen Online-Welt?
Man muss unterscheiden zwischen Ressentiments und Unsicherheiten. Man muss unterscheiden zwischen Ressentiments und Unsicherheiten. Unsicherheiten gibt es überall und das finde ich auch gut. Jedem, der sich in der rasant ändernden Medienwelt nicht unsicher ist, dem würde ich unterstellen, dass er sich keine Gedanken gemacht hat. Ressentiments entstehen dann, wenn eine Gruppe sagt: „Wir sind besser als die anderen.“ So etwas finde ich ganz schrecklich. Und das treffe ich zum Glück hier nicht an.Dein Kollege Jochen Wegner von der Zeit sagt, dass er nicht länger als drei Monate in die Zukunft des Online-Journalismus blicken würde…
Da schließe ich mich ihm an. Ich bin aber schon überzeugt, dass bestimmte digitale Entwicklungen wichtiger werden. Die sozialen Medien sind ein Beispiel.
Du hast ein Jahr als Fellow der Knight Foundation in den USA an der Stanford University verbracht. Glaubst Du, dass es für deutsche Journalisten wichtig ist, Zeit in den USA zu verbringen, so wie Bild-Chef Kai Diekmann? Oder ist so etwas ein Marketing-Gag?
Ich finde dass jeder, der die Chance hat, ein paar Monate in den USA zu verbringen, diese ergreifen sollte. Nicht nur Journalisten, sondern alle, die sich für Innovation interessieren. Ich habe Kai Diekmann vor Ort getroffen und hatte den Eindruck, dass er ein ehrliches Interesse mitbrachte und dort etwas lernen wollte.
Was lernt man als Journalist in den USA?
Einen anderen Zugang zu Themen, als wir Deutsche oder Österreicher haben. Wenn ich hier etwas vermisse, dann ist es eine Offenheit gegenüber Innovationen, ein „Probieren wir es einfach mal!“ Ich bin wiedergekommen mit dem Gefühl, dass es das Schlimmste wäre, etwas nicht versucht zu haben. Nicht etwa das Scheitern. Übrigens gibt es auch vieles, das die Kollegen im Silicon Valley an den Europäern schätzen.
Was genau?
Im Silicon Valley dreht sich zum Beispiel sehr viel um Ausbildung, während es den Europäern mehr um Bildung geht. Ich hatte den Eindruck, dass die europäische Kultur in den USA sehr bewundert wird.
Kai Diekmann hat die Paywall für Bild.de aus den USA mitgebracht. Du offensichtlich auch die Idee, Blogger zu beschäftigen. Allerdings nicht gratis wie die Huffington Post…
Ich gestehe, dass wir auch darüber geredet haben, ein Huffington-Post-Modell mit Gratis-Bloggern bei stern.de einzuführen. Aber wir haben uns dann dagegen und für eine Bezahlung entschieden.
Warum?
Wir wollten nicht die Politiker haben, die ihren Pressesprecher einen Beitrag schreiben lassen – und auch nicht den Fußballverein, der über seine Jahreshauptversammlung berichtet. Ich bin überzeugt, dass es der Marke stern geschadet hätte, wenn jeder einfach ohne Qualitätsanspruch veröffentlichen könnte. Wir wollten dem Konzept des stern treu bleiben und spannende Geschichten erzählen lassen, die dem Anspruch des stern genügen und es uns ermöglichen, eine Themenvielfalt zu bieten, die sich andere vielleicht nicht leisten können.
Du findest das Prinzip der Huffington Post also doof?
Ich finde es doof, wie gehässig viele Kollegen reagiert haben. Nein, im Gegenteil. Ich finde es gut, dass die Huffington Post nach Deutschland gekommen ist, denn sie bringt einen positiven Schwung in die deutsche Medienlandschaft. Ich finde es doof, wie gehässig viele Kollegen reagiert haben. Aber ich finde es auch wichtig, dass sich jeder überlegt, ob er das Modell der Gratis-Blogger übernimmt oder nicht. Mir war es wichtig, dass die Menschen, die ihre Kompetenz und ihre Zeit in ein Blog für den stern investieren, angemessen bezahlt werden.Was zahlt Ihr den Bloggern?
Jeder bekommt monatlich einen Betrag im dreistelligen Bereich.
Was unterscheidet diese Blogger dann noch von klassischen freien Autoren?
Dass sie wirklich bloggen und ihre eigenen Geschichten erzählen. Es gibt keine Schlussredaktion. Keine Themenkonferenz, keinen fest geplanten Veröffentlichung zu bestimmten Terminen. Jeder kann seine eigenen Beiträge eigenständig nach seinem persönlichen Rhythmus veröffentlichen. Ist ein Text veröffentlicht, entscheiden wir aber, wo wir ihn platzieren und wie wir ihn präsentieren.
Es wurde bereits kritisiert, dass viele Eurer Blogger hauptberuflich beim stern arbeiten…
Ja, aktuell arbeiten rund ein Viertel unserer Blogger beim stern. Ich finde das nicht schlimm, sondern schön.
Wie wählt Ihr Eure Blogger aus?
Wir wollen keine großen Namen, sondern spannende Themen von handverlesenen Autoren.Wir wollen keine großen Namen, sondern spannende Themen von handverlesenen Autoren, die entweder ihre eigene Geschichte erzählen oder Experten für ein bestimmtes Thema sind. Es gibt Menschen, die wir angesprochen haben, und wir bekommen auch viele Bewerbungen, die aktuell die Leiterin des Bereichs User Engagement sichtet. Blogger können sich bei ihr unter der E-Mail-Adresse rathert.katarina@stern.de bewerben.Wie viele Blogger sollen es werden?
Es wird sicher nicht hoch dreistellig, im Dezember haben wir mit 15 gestartet, pro Woche kommen zwei bis drei neue dazu. Jetzt im Januar zum Beispiel das sehr berührende Blog einer Kollegin, die seit Jahren alleine ihren demenzkranken Opa pflegt und unter Pseudonym davon berichtet. Oder den Programmstörer, einen TV-Blog von Peer Schader.
Und jetzt veröffentlicht Ihr auch noch Beiträge der Satireseite „Der Postillon“ von Stefan Sichermann. Warum habt Ihr das gemacht?
Wir haben als Experiment eine Kooperation mit dem Postillon gestartet, weil wir seine Texte einfach großartig und kreativ finden. Ich freue mich sehr dass das geklappt hat, weil ich Humor als ganz essentiellen Teil des stern erachte.
Neue Mitarbeiter, neue Blogger, der Postillon– was kommt als nächstes bei stern.de?
Wir befinden uns in einem großen Veränderungsprozess, in dem es nicht darum geht, an ein paar kleinen Schrauben zu drehen. Es geht darum, zu definieren, wo die Marke stern aktuell steht und wie wir sie digital weiterentwickeln. Wir haben die ersten Schritte in die richtige Richtung unternommen, aber wir werden noch viel tun.
Ist 2014 nicht etwas spät für solche Gedanken? Gegenüber dem Marktführer Spiegel Online und Marken wie Bild.de und Focus.de hat stern.de in den vergangenen Jahren ja viel Boden verloren…
2014 ist spät, aber nicht zu spät. 2014 ist spät, aber nicht zu spät. Wenn man nicht Marktführer ist, hat das ja auch Vorteile. Als Marktführer hat man auch immer sehr viel zu verlieren, wenn man etwas ändert. Da sind dann immer der Geschäftsführer und der CFO, die fragen, warum man etwas verändern möchte, wo doch alles gut ist. Wir aber können und dürfen innovativ sein und werden noch sehr viel ausprobieren.Liebe Anita, vielen Dank für das Gespräch.
[…] Link: Interview bei Lousy Pennies mit der Chefredakteurin bei stern.de – Anita Zielina: “Wir w… […]
[…] 26.1. stern.de: “Wir werden noch sehr viel ausprobieren” (Lousy Pennies) […]
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