Jeff Bezos kauft die Washington Post – und die Journalisten-Synapsen tanzen Tango
0Während Deutschland noch über die Zukunft der Tageszeitung diskutiert, wird sie in den USA schon gemacht. Mit dem Kauf der Washington Post durch Jeff Bezos macht alles plötzlich wieder einen Sinn
Was haben wir diskutiert, die letzten Tage. Im Spiegel und auf Spiegel Online hatte der Spiegel-Autor Cordt Schnibben mühsam versucht, eine konstruktive Debatte über die Zukunft der Zeitung in Gang zu bringen – und dann kam die Hammernachricht, die die Zukunft der Zeitung oder des Journalismus plötzlich aus lichtjahreweiter Ferne (Schnibben spricht von der Tageszeitung 2020) in greifbare Nähe rückt.
Jeff Bezos kauft die Washington Post. Und plötzlich macht alles einen Sinn.
Denn mit dem Amazon-Gründer wird ein Mann zum Zeitungsbesitzer, der nicht nur wie kein Zweiter die Digitalisierung versteht, sondern der auch die nötige Macht, das Geld und vor allem die Werkzeuge hat, den Medienwandel und die Tageszeitung von Morgen fast im Alleingang zu stemmen.
Ich gebe zu:
Natürlich tanzen gerade die journalistischen Synapsen in meinem Journalisten-Hirn Tango. Aber vielleicht wird man diesen 5. August 2013 einmal als Beginn einer neuen Ära sehen.
So wie ich entsetzt war über den Verkauf der Printtitel von Springer an die Funke-Gruppe (für mehr als das vierfache des WP-Deals!), so bin ich jetzt begeistert von den Möglichkeiten, die sich jetzt aus der Verbindung von Amazon und einer großen Tageszeitungsmarke auftun – auch wenn ich ein bisschen Angst vor einem neuen Medien- und Meinungsmonopol habe.
Warum?
Weil dieser Deal (fast) alles mitbringt, was alle Experten und die, die sich dafür halten, seit Jahren für die Digitalisierung und vor allem Monetarisierung des Journalismus fordern. Auch wenn Bezos den Kauf in Höhe von 250 Millionen US-Dollar angeblich als Privatmann, unabhängig von Amazon, getätigt hat…
Aber was meine ich nun konkret?
Ganz einfach. Denn welcher Art der Journalismus unter Jeff Bezos auch sein wird, die technischen, finanziellen und ideellen Rahmenbedingungen sind da, um diesen Deal zum echten „Game Changer“ in der Medienbranche zu machen:
1. Millionen von Kunden
Ich kenne kaum jemanden, der kein Konto bei Amazon hat. Trotz der Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Monate um Leiharbeit und Dumpinglöhnen – Amazon ist eine Macht nicht nur beim Versand aller möglicher Waren, sondern auch beim Verkauf von digitalen Produkten.
Und: Die Kunden sind inzwischen daran gewöhnt, digitale Medien bei Amazon zu kaufen. Bereits 2011 machte Amazon mehr Umsatz mit eBooks als mit herkömmlichen Papier-Büchern. Amazon ist schon längst selbst ein Verlag.
2. Die Marktmacht im Internet
Schon mal eine Produktsuche im Internet gemacht und NICHT auf der ersten Suchergebnisseite bei Amazon gelandet? Amazon weiß, wie Suchmaschinen funktionieren und wie man im Digitalgeschäft Erfolg hat. Da ist es sicher ein Leichtes, auch in Google-News aufzutauchen – und ich bin sicher, dass man sich auch bei Amazon über das deutsche Leistungsschutzrecht herzlich amüsiert hat.
Und nur so nebenbei: Ich glaube nicht, dass sich ein Mann wie Jeff Bezos mit alten Offline-Sentimentalitäten abgibt. Er ist durch und durch online und digital, so wie es vielleicht nur noch Steve Jobs war, dem ich etwas Ähnliches zugetraut hätte.
3. Ein weit verbreitetes und erschwingliches Lesegerät
Man muss sich nur mal in einen Zug, die U-Bahn oder ein Flugzeug setzen, um zu sehen, wie viele Menschen inzwischen einen Kindle oder einen anderen E-Reader besitzen. Diese sind – bis auf den Kindle Fire HD – keine lustigen, mit zahlreichen Apps vollgestopften Multimedia-Computer wie das iPad, sondern reine Lesegeräte. Perfekt für die Lektüre von Büchern. Oder Zeitungen.
Er ist einfach zu bedienen und vor allem einfach zu befüllen, drahtlos übers Internet.
Natürlich gibt es auch für das iPad eine kostenlose Kindle-App – und eine Lesesoftware für den Mac oder den PC.
Ach ja: Den günstigsten Kindle gibt’s schon ab 69 Euro.
4. Ein etabliertes und einfaches (Mikropayment-)Bezahlsystem
Nichts ist einfacher, als bei Amazon zu bezahlen. Mit dem 1-Click-Kauf ist es passiert. Millionen potentieller Leser haben bereits ihre Kreditkartendaten oder Konto-Informationen hinterlegt. Ein Bezahlsystem wie geschaffen für die digitale Distribution von Medieninhalten (ich will sie jetzt nicht Tageszeitungen nennen).
Vor allem aber ein Bezahlsystem, das sich ganz hervorragend für das so genannte Mikro-Payment eignet. Endlich wäre es möglich, wie so oft gefordert, nicht mehr den ganzen dicken Berg an Papier kaufen zu müssen, den eine Tageszeitung darstellt, sondern eben nur den einen Artikel, der mich interessiert.
Klick, schon habe ich ihn gekauft, für ein paar Cents vielleicht – die sich zu Millionen summieren können.
Dann der nächste Artikel, wieder ein Klick. Und dann kommt das Empfehlungssystem von Amazon und schlägt mir schon wieder den nächsten Artikel vor, der mich interessieren könnte. Oder ein passendes, weiterführendes eBook… Oder ein Produkt über das in dem Artikel geschrieben wurde… oder … oder … oder
5. Tausende von Autoren
Seit Jahren schon hat Amazon Erfahrung mit so genannten Self Publishern gesammelt. Also Autoren, die ohne Verlag bei Amazon eigene Bücher veröffentlichen, und dabei sogar richtig gut verdienen können, wie mir Selfpublisher Matthias Matting hier verraten hat.
Warum also nicht nach dem Vorbild der Huffington Post, rund um das Flaggschiff Washington Post Tausende von Bloggern, Publizisten und freien Journalisten versammeln, deren Beiträge dann ebenfalls im Mikropayment-Verfahren abgerechnet werden. Dann heißt es vielleicht 10 Cent pro Artikel, 3 gehen an Amazon, 7 an den Autor.
Über die Preisfindung müsste man natürlich noch diskutieren, aber ich würde gerne erleben, was mit den vielen Kostenlos-Bloggern der HuffPost passiert, wenn ihnen Amazon plötzlich bei vergleichbarer oder noch größerer Reichweite plötzlich das Angebot macht, auch noch ein paar LousyPennies oder richtig Asche mit ihren Beiträgen zu verdienen…
All das sind natürlich nur Vermutungen. Vermutlich denkt Jeff Bezos schon mehrere Schritte weiter. Wir werden es erleben – und vieles hoffentlich auch kritisch begleiten. Trotzdem bin ich unglaublich gespannt, was nun passiert.
Jeff Bezos hat es in einem Brief an die Mitarbeiter der Washington Post schon angekündigt:
„We will need to invent, which means we will need to experiment. Our touchstone will be readers, understanding what they care about.“