Christian Spanik über Internet-Video: „Ich bin wie der Musiker, der alle Instrumente alleine spielt“
0Christian Spanik ist TV-Urgestein und Web-Video-Pionier. Hier erzählt er, was er auf Facebook, YouTube und LinkedIn sendet – und wie er damit sein Geld verdient.
Wer LousyPennies.de kennt, weiß dass wir dort immer auf der Suche nach inspirierenden Medien-Menschen sind, die auf der Reise in die digitale Welt vielleicht schon weiter sind, oder eben einen ganz besonderen Weg gegangen sind.
Ein solcher Mensch ist Christian Spanik, den viele vielleicht noch als „Computer-Onkel“ im ZDF-Morgenmagazin kennen. Als alter Hase im TV-Geschäft hat er sich sehr, sehr früh mit dem Thema Bewegtbild im Netz beschäftigt – und sendet nun regelmäßig unter den Marken Digisaurier, Intelligente Welt und jetzt auch „9:59“ auf LinkedIn seine eigenen Internet-Video-Formate.
Ein spannender Gesprächspartner also, den ich – natürlich – per Video interviewte. Dieses schriftliche Interview hier ist eine stark gekürzte Zusammenfassung unseres Gespräch, das Ihr auch im Video hier unten komplett verfolgen könnt. Ganz besonders spannend für mich: der Passus ab Minute 28:30, wo mir Christian seinen „Technik-Zoo“ erklärt.
Hier nun aber die gekürzte Fassung für alle, die nicht ganz so viel Zeit haben:
Christian, wenn ich mich mit meinem Co-Blogger Stephan Goldmann über dich unterhalte, dann ist jeder zweite Satz: „Der Christian, der hat ja damals in den 90ern bei der Chip schon das erste Web-TV eingeführt.“ Wie war das denn für Dich? Das war doch noch in der Zeit der 56 k Modems…
Ja das war mit 56 k Modems. Wir hatten auch noch langsamere. Das war so eine Phase wo das ZDF online ging mit den ersten Sachen. In dieser Phase habe ich dann ein paar Ideen entwickelt, die samt und sonders als „interessant“ betrachtet wurden – dazu gehört auch ein Videoformat im Netz, das ich nach dem Morgenmagazin machen wollte.
Die Konsequenz daraus war, dass ich dann irgendwann zu dem Ergebnis kam, wenn ich solche Dinge machen will, dann muss ich die eigentlich woanders machen. Und so kam es zu Chip TV.
Und ja wir hatten als maximale Option doppelte ISDN-Geschwindigkiet. Das war die schnellste Verbindung am Anfang bei Chip TV.
Und das Interessante ist: Die Menschen mussten damals ja sozusagen für unser Programm bezahlen. Es war ja eine getaktete Leitung, die hat Geld gekostet pro Minute. Das heißt, wir waren Pioniere in Sachen Paid Content. Hat nur leider nicht überlebt.
„Facebook live ist wie ein Rockstar“
Springen wir mal ein bisschen weiter nach vorne zu Facebook Live. Damit hat sich auch bei Dir viel verändert.
Ja, das ist sicher richtig. Wobei Facebook live, das ist so ein bisschen wie bei einem Rockstar. Du redest von dem Moment, wo dieser Star seinen Hit hat. Dann sagen alle: Super, wie aus dem Nichts heraus ist da jetzt etwas Wahnsinniges entstanden.
Das ist nie wahr gewesen. Das ging ganz viel, viel früher los mit vielen kleinen Schritten.
Angefangen hat es tatsächlich mit Twitter und Periscope. Und der Vorläufer hieß Meerkat. Facebook hat zum Schluss den letzten Schubs gegeben.
Heute würde ich ganz konkret sagen: Ja, Facebook ist ein Aspekt dessen, was ich da tue. Aber ich wähle mittlerweile sehr genau aus, für welchen Kanal ich was mache. Denn wenn es um Fanbasis geht, haben die gar nichts mehr miteinander zu tun.
Dein neuester Kanal ist ja LinkedIn. Dort machst Du ein Format namens 9:59.
Ja, den Kollegen bei LinkedIn gefiel das, was ich bei Facebook mache. Die fanden das deshalb so gut, weil sie das Gefühl hatten, das ist es eine Sendung und kein Podcast. Ich habe dann gesagt, ja ich könnte so was auch auf LinkedIn gerne machen.
Und dann haben die gesagt, wir geben dir den Zugriff auf die Videofunktion sehr früh, bevor es ausgerollt wird. Dieser Vorsprung war dann für mich wichtig, weil ich die Chance hatte, herauszufinden, was da eigentlich geht und was da nicht geht.
Was geht nicht?
Das geht damit los, dass es eine Zeitbeschränkung von zehn Minuten gibt. Und dann habe ich – typisch Fernseh-Mensch – gesagt: Ok, dann mache ich 9 Minuten 59 – und so entstand auch der Titel 9:59.
Und was ist 9:59?
9:59 ist ein Format, das sich extrem an die Zielgruppe „Ich bin im Geschäftsleben und interessiere mich für ein digitales Update, Ich habe nicht viel Zeit“ wendet.
Das ist ganz was Anderes, als wenn ich mit jemandem rede, der sagt, ich gucke mir den Digisaurier an, wenn der Spanik eine halbe Stunde mit dem Karsten, oder Stephan oder dem Martin über alte Zeiten redet und er alte Bilder zeigt oder vom Amiga erzählt.
Das heißt, diese Aggregatzustände versuche ich in jedem Format abzuholen. So wie wir früher im Fernsehen das auch machten, weil jemand der Morgenmagazin guckte, in einem anderen Aggregatzustand war, als jemand der Mittagsmagazin guckte oder nachmittags eine Serie oder dergleichen mehr.
„Wenn ich Programm mache, ist die Frage für mich nicht zwangsweise, ob ich Tausende von Menschen erreiche“
Jetzt spiele ich mal TV-Manager. Und die erste Frage, die man in so einem Fall noch bekommt, ist: A, hast du da überhaupt eine Reichweite? B, verdienst du damit Geld?
Jein. Also ich will sagen, was sind Reichweiten? Wenn ich Programm mache, ist die Frage für mich nicht zwangsweise, ob ich Tausende von Menschen erreiche. Wenn ich das möchte, gibt es andere Plattformen, um das zu tun. Zum Beispiel TV.
Das heißt in Konsequenz, Du musst genau überlegen, was deine Botschaften sind. Dann kannst Du Dir sagen, für wen ist die?
Ein Beispiel: Ich habe vom deutschen Logistik Kongress berichtet. Da geht es nur um Logistik. Meine Zielvorgabe ist nicht, hier Hunderte, Tausende, Abertausende Menschen zu erreichen, die zufälligerweise ein Paket kriegen. Meine Zielsetzung hier muss sein, die Menschen zu erreichen, die innerhalb dieser Branche sind, damit sie eine Idee davon haben, was sich da neu entwickelt.
Wir haben es letztes Jahr schon mal gemacht und festgestellt, dass wir die besten Abrufzahlen nachts hatten. Wenn die Besucher von der Messe zurückkamen und wissen wollten, was war denn so auf dem Kongress los?
Das heißt also, hier habe ich eine Zielgruppe von 3.000 Teilnehmern. Und wenn ich davon 400, 500 – in unserem Fall war es bis zu 2.000 – erreiche, dann muss ich mir keinen Kopf machen. Dann habe ich alles richtiggemacht.
Ja, ich habe also Reichweite – und zwar genau da, wo ich sie haben will. Ich muss allerdings dazu sagen, LinkedIn war für mich tatsächlich ein Überraschungserfolg. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Zahlen so hoch sind.
Wie hoch sind die Zahlen?
Genaue Zahlen kann ich leider noch nicht verraten. Aber LinkedIn läuft im Vergleich von Fans zu Zuschauerzahlen dramatisch besser als Facebook. Das kann ich ganz konkret sagen. Über die Qualität von Zielgruppen will ich jetzt nicht philosophieren. Da kann man lange darüber streiten.
„Durch unsere Experimente entwickeln wir Expertise“
Dann bleibt die zweite Frage nach dem Geld: Wie verdienst Du Geld auf LinkedIn?
Wir haben ja schon längere Zeit Kunden, für die wir auch bei Facebook Sendungen machen. Das sind z.B. Kongress-Veranstalter oder Ministerien. Das sind Kunden, die technisch-wissenschaftliche Themen haben, von denen sie gerne hätten, dass man daraus ein Spezial-Format für ihre Zielgruppe macht.
Für diese Kunden produzieren wir als Basis die Sendung und dann machen wir daraus die verschiedenen Ausspieler in verschiedenen Kanälen, die nötig sind. Darüber verdienen wir auch unser Geld. Dabei verkaufen wir natürlich auch nicht unerheblich Beratungsleistung, weil wir durch all das was wir machen natürlich extrem viel Expertise in dem Bereich haben.
„Ich glaube, dass man Programm auch einfach mit Herz machen muss“
Das heißt also die reinen Christian-Spanik-Formate, wie die Digisaurier und jetzt 9:59 sind dafür da, um durch das Machen zu lernen und dann das Know-how später an zahlende Kunden zu verkaufen?
Jein. Zum einen macht mir so etwas wie die Digisaurier einfach Spaß. Ich bin in dieser Welt groß geworden, ich habe ein riesiges Archiv aus den Jahren 1990 bis 2000. Ich kann da wirklich viel machen, ich habe viele Menschen getroffen. Ich habe um mich herum eine Reihe von Kollegen wie Rainer Barthel, Hannes Rügheimer, Martin Goldmann. Die haben auch ganz viele Geschichten zu erzählen.
Das heißt, dafür eine Plattform zu schaffen, war mir ein Anliegen. Ich glaube, dass man Programm auch einfach mit Herz machen muss. Das heißt, wenn ich das nicht gerne machen will, sondern nur so eine Art Laborratte unterwegs habe, dann ist das keine gute Idee, weil ein Stück Herz muss dabei sein.
Zweiter Punkt: Es ist natürlich so, da hast Du völlig Recht, dass es auch ein Stück Verkaufsplattform ist. Dass Menschen sehen, ah das geht. Wichtig ist mir bei dem aber auch, dass Kunden dann hinterher auch nichts erwarten, was ich und was wir gar nicht leisten können oder wollen.
Also bildest Du dich kontinuierlich durch Experimente weiter?
Ich will da noch ein Beispiel geben: Wir hatten im Dezember letzten Jahres angefangen beim Digisaurier rumzusenden. Irgendwann musst du live gehen, weil der Unterschied zwischen theoretisch machen und wirklich live senden, einfach groß ist.
Martin Goldmann saß hier und dann haben wir halt losgelegt und haben so rumgepodcastet. Es waren sehr wilde, wirre Sendungen. Und dann wollten wir ein Video zeigen, das wir sehr witzig fanden. Das ist ein Video auf Youtube, das mit Disketten und Druckern den Imperial March von Star Wars spielt.
Und Bums war der Stream weg.
Ja, ich erinnere mich genau. Plötzlich war der Screen schwarz. Das ist natürlich blöd, wenn das beim Kunden passiert.
Der Punkt war tatsächlich, dass Facebook zu dem Zeitpunkt höchst rigoros vorging gegen vermutete Urheberrechtsverletzungen. Beim Kunden durfte das keinesfalls passieren. Was haben wir dann gemacht? Wir haben vor Kundenprojekten wirklich noch in der Nacht bevor wir gesendet haben, getestet ob unsere Musiken einen solchen Abbruch produzieren.
Das heißt, wir haben es erfahren über den Digisaurier. Diese Art von Learning ist da dabei und das gehört zu diesen Plattformen.
„Ich habe auf die harte Tour herausgefunden, wie es nicht sein darf“
Thema Learning: Ihr habt ja relativ viel Technologie getestet. Wie muss ich mir das Ganze vorstellen?
Tatsächlich habe ich seit rund zwei Jahren an dem System herumgetüftelt. Ich will nicht sagen entwickelt, weil ich habe ja die Komponenten nicht entwickelt. Ich habe mir aber überlegt, wie muss das sein. Und ich habe auf die harte Tour herausgefunden, wie es nicht sein darf.
Aus Erfahrung: Wie viele Menschen würde das ZDF für eine vergleichbare Sendung einsetzen, wie Du sie aktuell so fährst?
Vergleichbar wäre im Grunde eine klassische CeBIT-Sendung, weil ich ja heute von Messen live sende. Da hatten wir teilweise bis zu 100 Leute im Einsatz. Das was Du hier mit mir hast, sind jetzt Kameraleute, Regie, Moderation, Redaktion und die Zuschauer-Redaktion Also ich habe ungefähr fünf Hüte auf, die ich hier bediene. Das ist so wie der Musiker in der Stadt, der alle Instrumente alleine spielt.
Und das kombiniere noch mit dem armen Poeten, dann bist du relativ nah an dem, wo die Realität von so einer Entwicklung einfach ist.
Auf dem Logistik Kongresssind wir dan insgesamt mit fünf Mann. Da bin ich, um die Sendung zu fahren, zu moderieren, Talks zu machen mit den Gästen. Dann habe ich Redakteure dabei, die Filme drehen mit dem Handy, mit einer Spiegelreflxkamerat, mit all diesen Dingen, die wir halt so nutzen.
So dann bist du bei fünf Mann. Wie ich vorhin sagte: beim ZDF wären es bis zu 100 Personen. Es gibt da so legendäre Bilder von CeBIT-Sendungen wo man das sehen kann.
Jetzt haben wir vielleicht ein paar Leute durchgehalten, die sich sehr für dieses Thema interessieren. Was sind denn deine drei wichtigsten Tipps, wenn man Bewegtbild im Internet machen will?
Erstens, stellt nicht die Frage, „Was soll ich tun, wenn ich Bewegtbild im Internet machen will?“ Weil es gibt nicht mehr DAS Internet. Die Frage ist: Mache ich Bewegtbild für Instagram, Snapchat, YouTube, Facebook?
Also fragt euch erst, für wen mache ich das, was ich gerade mache? Daraus resultieren ganz viele Antworten auf andere Fragen, die es dann gibt. Welche Technik setze ich ein? Wie lang darf es sein? All diese Dinge spielen dann eine Rolle.
Also erster Punkt ganz klar: Fragt Euch für wen das macht und auf welchen dieser Kanäle? Denn das Internetfernsehen ist tot, es lebe das Internet-Fernsehen im Sinne von Kanälen.
Und der zweite Punkt?
Probieren, probieren, probieren. Ihr müsst das Zeug, was Ihr einsetzt unter echten Bedingungen testen. Nicht so ein bisschen „Das hat bei mir zu Hause im Wohnzimmer funktioniert“, sondern unter Druck.
Macht Pro bono Projekte. Ich mache das bei uns in meiner kleinen Gemeinde, aber auch bei Projekten wie die Digisaurier oder intelligente Welt. Da probieren wir neue Formate aus. Mögen die Zuschauer das, mögen sie es nicht? Wo kommen wir an Stolpersteine? Wo haben wir plötzlich keinen Ton, obwohl wir gerne Ton gehabt hätten?
Also bring dich unter Stress und teste das, was Du einsetzt, wirklich. Damit Du dann wenn es drauf ankommt, in der Lage bist, das zu tun, was du wirklich machen willst.
Der dritte Tipp…
Es passieren andauernd neue Dinge um dich herum, die Du überhaupt nicht im Blick hast, weil du so verbohrt bist. Also halt die Augen offen. Erstens was andere tun. Zweitens Nach Tools, die es gibt.
Das ist total ätzend, weil Du andauernd was Neues lernen musst. Aber ganz ehrlich, ich bin jetzt 54 und finde das geil.
Das ist auch meine Motivation. Ich bin knapp zehn Jahre jünger als Du, aber die Angst, irgendwann mal stehen zu bleiben ist da – und die Lust auf das Neue. Das führt mich zur letzten Frage: Das ist ja nicht das Ende der Reise. Was sind denn die nächsten Schritte auf Deiner Reise? Wo willst Du hin?
Ich habe jetzt anderthalb Jahre nichts weiter getan als mit Formaten experimentiert. Ich hab nicht wenig Geld ausgegeben um das zu tun. Diese Phase kommt jetzt langsam zum Ende und das heißt für mich, dass der nächste Schritt erst mal konsolidieren von Formaten ist.
Gleichzeitig heißt es für mich, zu sagen, Okay, what’s next? Was sind die Sachen die kommen? Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diesen Rhythmus durchhalte, weil das ist auch anstrengend. Es macht mir viel Spaß. Aber es ist auch anstrengend.
Dann der zweite Punkt: Ich habe das System skaliert. Ich habe das System jetzt so weit, dass ich in der Lage bin, wenn ich mit meinem ganz normalen Reisekoffer irgendwo ankomme und alleine bin, kann ich von irgendeiner Veranstaltung eine Sendung fahren. Sofern man mir eine Leitung Verfügung stellt.
Wenn ich das hier alles einpacke, was wir hier haben, was für mich die Komfortlösung auch im Produzieren ist, ist halt ein halbes Auto voll. Das ist auch in Ordnung. Und im Zweifelsfall habe ich noch eine Mannschaft dabei. Ich habe also die Lösung skaliert von Groß zu sehr, sehr klein und handlich.
Das Dritte was ich tun will, ist, dieses Wissen weiterzugeben. Das kann von der Unternehmenskommunikation bis hin zu Journalisten sein. Ich kann sagen: Kommt hierher, guckt euch das an oder ich komme da hin und ich mache ein Vortrag oder ich mache einen Dreh. Das sind die Dinge die mich momentan als nächstes interessieren.
Also neugierig bleiben konsolidieren der Formate und Wissen weitergeben. Das sind die Dinge die jetzt für mich anstehen.
Wunderbar. Das hast du auch gerade, wie ich finde sehr, sehr gut gemacht. Also ich jedenfalls habe wieder viel gelernt. Vielen Dank für dieses Interview!
Bezahlung durch Anerkennung und Teilen
Euch gefällt dieser Beitrag? Dann teilt ihn bitte in den sozialen Medien – und folgt mir auch auf Twitter und/oder unserer Facebookseite!