Journalismus-Labor 2017: Warum wir alle weiter experimentieren sollten
1Das Web ist ein riesiges Versuchslabor. Journalisten und Medienmacher sollten es nutzen. Scheitern. Lernen. Weitermachen. Jeden Tag.
Neulich auf der re:publica. Der bekannte Medienmacher, Journalist und Blogger Christian Jakubetz interviewt mich über mein Lieblingsthema „Geld verdienen als Journalist im Netz“. Natürlich so, wie man das heute halt so macht, mit dem Smartphone aufgenommen und per Facebook live gleich in alle Welt gestreamt.
Soweit so gut. Das Interview läuft gut, bis wir – endlich – bemerken, dass das Bild hochkant übertragen wird bzw. jeder, der uns in normaler Postion zusehen möchte, dazu den Kopf um 90 Grad drehen muss.
Was für eine Sch…! Drama. Katastrophe. Wir Digitalos outen uns als Komplettversager! Oder etwa nicht?
Ich finde nicht.
Denn ich habe wieder etwas gelernt. Und Christian Jakubetz auch. Und das ist es, was Menschen wie mich, Christian Jakubetz, Stephan Goldmann, Richard Gutjahr und viele andere altgediente Medienmenschen auch heute noch jeden Tag begeistert aus dem Bett steigen lässt: Wir dürfen jeden Tag ins Versuchslabor des Journalismus, dabei lernen und uns selbst ständig neu erfinden.
Hier das Video. Tipp: Ab Minute 6 wird es richtig lustig…
Ich sehe es so: Seit meinem Weggang von der Deutschen Journalistenschule 1998 habe ich mich rein handwerklich (also nicht auf die mit der Erfahrung kommende Lernkurve bezogen) jahrelang kaum weiterentwickelt.
Viele von uns, egal ob beim Radio, Fernsehen, Print oder sogar Online haben, auch wenn das technische Equipment besser wurde, sehr lange den gleichen Stiefel gemacht – wie man zum Beispiel ein Print-Magazin macht, unterscheidet sich 2017 kaum von 1998.
Das Digitale hat alles verändert
Heute lerne ich jeden Tag dazu.Doch mit der Entscheidung, mich voll und ganz aufs Digitale einzulassen, hat sich alles geändert. Heute lerne ich jeden Tag dazu – SEO, Social, Community, Video… Und ich scheitere auch fast so oft. Oft muss ich auch erkennen, dass zum Beispiel (jüngere) Kollegen, die sich noch intensiver als ich mit einem bestimmten digitalen Aspekt beschäftigen, mir meilenweit voraus sind. Aber auch das inspiriert mich.Wichtig für mich ist nur, den gleichen Fehler nicht zu oft erneut zu machen. So werde ich künftig hoffentlich korrekt auf Facebook streamen – und Christian sicher auch.
Das Experimentieren macht Spaß
Aber dieses Experimentieren, Scheitern, Weiterentwickeln macht ja auch richtig Spaß. Auch dieses Lernen von anderen, jüngeren und älteren Kollegen – selbst wenn man sich mal in die Haare bekommt, weil der eine nicht versteht, warum der andere etwas macht.
Das Experimentieren ist so wichtig für alle Medienmacher.Und diese positive Einstellung gegenüber dem Experimentieren halte ich für essentiell für alle, die sich aktuell in der Medienlandschaft bewegen. Das ganze Internet ist ein riesiges Versuchslabor, in dem jede Sekunde neue chemische Verbindungen entstehen, kontinuierliche A/B-Tests laufen und alte Wahrheiten nicht mehr gelten.Ein Beispiel: Als die ersten Medienhäuser anfingen, mit harten und weichen Paywalls zu experimentieren, war ich skeptisch: Sind ausreichend Menschen bereit, für journalistischen Content Geld zu zahlen?
Paywalls sehe ich heute viel positiver, als noch vor einem Jahr.Die finale Antwort habe ich bis jetzt nicht erhalten, aber dieses Experimentieren ist so wichtig. Und ich bin heute übrigens viel positiver gestimmt, als noch vor einem Jahr, denn ich glaube zu erkennen, dass immer mehr Menschen verstehen, dass Journalismus auch einen Wert hat.Man würde sich nur manchmal wünschen, dass das eine oder andere etablierte Medienhaus noch mehr Lust aufs Experimentieren hätte. Denn solange die Kassen noch voll sind, ist das deutlich einfacher.
Lernen aus dem Scheitern
Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren viele journalistische Projekte gesehen, die mit großen Hoffnungen gestartet und dann doch entweder beinahe oder ganz gescheitert sind und sich noch einmal neu erfunden haben (Pivoting nennt man das in der Start-Up-Sprache). Von den Krautreportern über Substanz bis hin zu Deine Korrespondentin von der wunderbaren Pauline Tillmann, die man übrigens dringend drüben bei Steady unterstützen sollte.
Aus ihren Erfahrungen habe ich ebenso wie aus vielen Gesprächen, die ich mit zahlreichen anderen Medienmachern geführt habe, so, so viel gelernt über meinen eigenen Job.
Auch Content Marketing ist ein Experiment
Aktuell bin ich drüben bei meinem Brötchengeber The Digitale Teil eines weiteren großen Experiments namens „Ist Content Marketing die Rettung des Journalismus oder wird es ihn killen?“. Ein Experiment, an dem ja gerade auch so große Namen wie Sascha Pallenberg und Dominik Wichmann bei Daimler teilnehmen.
Glauben heißt nicht wissen.Der Gedanke, dass Unternehmen in der digitalen Welt selbst zu Medien werden können, kann ja auch falsch sein. Ich glaube das zwar nicht, aber wie heißt es im Digitalen so schön: „Glauben heißt nicht wissen.“ Aber die Zahlen, die ich so sehe, lassen bei mir den Schluss zu, dass ich sogar Recht in meinem Glauben habe.Was tun wir? Wir probieren aus
Also probieren wir es aus. Wir messen und analysieren. Wir scheitern. Wir siegen. Wir verbessern uns und lernen für den nächsten Schritt. „Learn and adapt“, nennt man das im Internet-Sprech.
Die nächsten 22 Jahre werden die spannendsten meines Berufslebens.Ich werde in diesem Jahr 45. Ein Alter, in dem ich mit 27 dachte, ich wäre längst tot oder final vergreist. Aber heute glaube ich, dass die nächsten 22 Jahre meines Berufslebens die spannendsten, aber sicher nicht die einfachsten werden.Denn was mich das Alter und meine grauen Haare lehren ist eins: Vor 20 Jahren gab es weder Google noch Facebook, dachte niemand daran, dass Print sterben könnte, war Nokia DIE Handymarke und Apple kurz vor der Pleite. Deshalb mag es durchaus sein, dass gerade in irgendeiner Garage das nächste Google oder das nächste Facebook entsteht.
Ich weiß nur, dass ich auch mit 65 noch Lust darauf haben werde, es mir anzuschauen und Lösungen zu finden, wie ich als Medienmacher damit umgehe.
Update: Ich hab das Thema nun auch noch aus Sicht der Content-Marketing-Agentur beschrieben.
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Na ja … der Leser, Betrachter, User als Versuchskaninchen, weil wir Journalisten unser digitales Handwerk noch nicht richtig beherrschen und herumexperimentieren. Dafür werden wir wohl kein Geld verlangen können und dieses auch bekommen.