Journalisten: Hört endlich auf, Darstellungsformen für die Zukunft zu halten
8Zwischen der augenblicklichen Entwicklung des Journalismus und den Themen, die auf einigen Tagungen im Bereich Wandel angesprochen werden, tut sich zumindest in meinem Kopf eine große Kluft auf.
Gerade lese ich noch das: Popping the Publishing Bubble. Eine Kernthese für Publizisten:
„be everywhere with their content, wherever their potential readers might be.“
Der Trend ist sichtbar: Die Inhalte werden künftig in Instant Articles, auf Snapchat oder in Blendle und Co. erscheinen. Die Webseite als zentrale Anlaufstation der Marke wird an Bedeutung verlieren – Buzzfeed und Co. haben es vorgemacht. Sogar Google und Twitter bauen nun an einer Open Source Variante der Instant Articles.
Eine große Herausforderung in den nächsten Jahren könnte also sein, seinen Inhalt möglichst simpel und transportabel zu gestalten, damit er in die engen Korsetts der diversen Trägermedien passt.
Und dann schalte ich um in den Livestream des Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Thema: „Online Journalismus und die 4. Macht – Digitaler Wandel im Journalismus“.
Gerade spricht David Ohrndorf über sein Pageflow, das Scrollyteling-Tool des WDR. Einige Erfahrungen werden erzählt. Schließlich meldet sich ein Mann zu Wort und sagt, sie werden das nun auch einsetzen.
Moment mal: Das Tool wurde vor gut eineinhalb Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt. Und seitdem sind Pageflow-Seiten ja nur so hochgeschossen, man kann sich gar nicht retten vor ihnen, alle Magazine publizieren damit …
NOT!
In mir tut sich eine Kluft auf zwischen dem, worüber Journalisten auf Tagungen sprechen und worüber ich glaube, dass sie dringend reden sollten.
Bitte nicht falsch verstehen: Pageflow hat durchaus einen Sinn, es ist ein tolles Tool für bestimmte Zwecke. Aber es ist nicht relevant für die Zukunft und den dafür nötigen Wandel des Journalismus. Genauso wenig wie Blogs dessen Untergang heraufbeschwören. Das gilt auch für Gamification:
Liegt die Zukunft des Journalismus im Spiel? Guter Vortrag von #m_boesch über #Newsgames #OJZKM15
— MFG Innovation (@mfg_innovation) 18. September 2015
Nein, tut er nicht! All das sind einfach nur Medien oder Stilformen innerhalb eines großen Mediums. Auf einer bestimmten Ebene gut und wichtig, aber wir haben uns doch im Printbereich auch nicht über den Wandel des Journalismus unterhalten, um dann das Feature oder das Interview als Stilform vorzustellen.
Ist auch kein Problem, die ZKM spricht ja von „Digitaler Wandel im Journalismus“ und das gehört schon irgendwie dazu. Aber …
Die Probleme des Journalismus sind nicht die Darstellungsformen
Die Zukunft des Journalismus liegt darin, nicht nur gelesen, sondern vor allem finanziert zu werden. Fragt man freie Redakteure oder angestellte Journalisten, werden sie einem nicht sagen: Mir fehlt eine gute Darstellungsform. Die meisten werden etwas erzählen von Entlassungswellen und von fallenden Honoraren.
Und hier offenbaren sich die wahren Probleme: Der Preisverfall, die Adblocker, das schiere Desinteresse der Werbetreibenden am Journalismus. Dazu kommt der Vertrauensverlust in die „Lügenpresse“. Ob öffentlich rechtlich, per Paywall oder durch Werbung – Geld muss her. Egal, wo der Inhalt ausgespielt wird. Ob bei Blendle, bei Facebook oder bei Google.
Dieses heiße Eisen gilt es anzupacken, wenn wir eine Zukunft für den Journalismus diskutieren. Dabei geht es um Strukturen und passende Businessmodelle. Nicht um Darstellungsfromen. Sie erscheinen in diesem Kontext – Verzeihung – nur als Spielerei.
Aber sind einige der neuen Darstellungsformen nicht gleichzeitig auch ein Versuch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln? Facebook führt die Instant Articles ja nicht ohne Grund erst mit großen Partnern wie Springer ein.
Würde ich so nicht sagen. Facebook führt in dem Sinne keine besondere oder neuere Darstellungsform ein, sondern die Möglichkeit, Artikel besser von der eigenen Plattform zu lösen. Es geht dabei also um eine Dezentralisierung oder gar Vereinleibung, die Facebook betreibt. Diese Fragmentierung der Information ist das ganze Dilemma, des Journalismus bei gleichzeitigem Verfall der Werbung aus Gründen, die im verlinkten englischen Artikel bei XING genannt werden.
Vielleicht auch noch einmal klar. Ich will hier niemanden dissen, es ging mir lediglich um diese wahnsinnige Kluft, die sich da in meinem Kopf auftut, wenn ich manche Kollegen über den Wandel oder die Zukunft sprechen höre.
Nebenbei habe ich natürlich gar nicht gegen neue Darstellungsformen. ich werde bloß dann stutzig, wenn einige Kollegen denken, dass Darstellungsformen etwas am großen Dilemma ändern. zudem finde ich, dass einige Darstellungsformen zu sehr vom Journalisten aus gedacht sind, und der Leser eigentlich gar keinen Bedarf an ihnen sieht – was man natürlich dann erst hinterher weiß.
Geld. Vollkommen richtig. Und gute Inhalte, das wär auch schön. Wenn ich mir ansehe, welche Bedingungen derzeit für den Nachwuchs geschaffen werden – Content-Schleudern müsst ihr Volontäre sein, unterbezahlt und gierig nach Quote und, bitte, Geld und Ausbildung, das kommt dann von allein – dann müssen wir auch das ansprechen.
Ich tippe ja, die Industrie des Journalisten, in ihrer klassischen Form, die ist einfach durch. Wie Eisenbahn und Pferdekutsche. Auch da fehlen noch Antworten, offensichtlich.
Kritik äußern und Probleme aufzeigen ist einfach. Aber KONKRETE Lösungsansätze bietet der Artikel leider auch keine an.
Dass der Artikel einen Denkanstoß gibt, ist doch auch schon einmal viel wert. Aus der Erfahrung mit Unternehmenskultur heraus – die eine Lösung wirst Du für diese Art „Problem“ nicht finden. Weil es eben kein Problem im Sinne einer Ursache ist, sondern ein Wandel.
„Sprecht den Scheiß offen an“ ist als Grundeinstellung in jedem Fall ein erster wichtiger Ansatz.
Ich gebe zu, die Diskussionen im Journalismus drehen sich zur Zeit sehr stark um Darstellungsformen und nur wenig um Inhalte. Aber die Inhalte sind doch vorhanden. Täglich produzieren viele Kollegen hochwertige Inhalte, neben dem Tagesjournalismus aus Meldungen, die schnell ihren Wert verlieren.
Das Problem ist, dass immer weniger diese hochwertigen Inhalte kaufen. Selbst die schon bezahlten, wie beim ÖR Rundfunk (TV und Radio), werden von einigen Zielgruppen immer weniger genutzt. Es geht also wohl nicht nur um die mangelnde Zahlungsbereitschaft, sondern um zeitgemäße Darstellungsformen: Die gedruckte Zeitung, das lineare Fernsehprogramm scheinen für viele nicht mehr die attraktive Darstellungsform zu sein, die gewünscht wird. Alle sollte man sich Gedanken über attraktive Darstellungsformen machen, die Akzeptanz haben und dann auch Teil eines immer breiterern Medienmixes zu sein, der schließlich zu einer Finanzierung führt.
Und jetzt in der Überschrift nach „auf“ noch ein Komma, dann versteht man sie auch aufs erste Lesen
Na, das mach ich doch glatt :)