Facebook baut gerade einen Todesstern – und könnte den Journalismus verändern
20Seit dem 1. Februar gelten bei Facebook mal wieder neue AGB. Den meisten Nutzern ist das egal. Journalisten sollte nicht nur das, sondern auch einige andere Entwicklungen alles andere als egal sein…
Wer kennt eigentlich noch AOL? Oder Compuserve? Oder vielleicht sogar Hubert Burdas Millionengrab Europe Online? Im Pleistozän des Internets, dachten viele Menschen, diese Services seien das Internet. Doch es waren in sich abgeschlossene Ökosysteme mit eigenen Inhalten. Das wilde, weite, freie World Wide Web war unentdecktes Land, in das man sich als AOL-Nutzer nur ab und zu mal ganz vorsichtig vorwagte. Nach einigen Jahren der grenzenlosen Freiheit ist für viele Menschen Facebook das Internet. Und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg setzt alles daran, ein neues AOL zu bauen. Nur viel größer als AOL. Viel schlauer. Viel mächtiger.
Um zu sehen, was Darth Facebook gerade tut, um seinen Todesstern aufzubauen, muss man nur in seinen Newsstream blicken und sehen, wie das Netzwerk aktuell mit Videos umgeht: Werden Videos direkt von Facebook-Servern abgespielt (Fachbegriff: selbstgehostet), sieht man in der Smartphone-App eine bewegte Vorschau. Ein Cooler Effekt, der Klicks bringt – und Youtube-Videos versagt bleibt, deren Vorschau irgendwie kümmerlich wirkt. Angeblich, so erzählt man sich, hat Facebook seinen berühmten Algorithmus darüberhinaus so angepasst, dass Youtube-Vidoes weniger oft und vor allem weniger prominent angezeigt werden.
Youtube gehört übrigens dem großen Konkurrenten Google, den Facebook demnächst mit seinem eigenen Werbenetzwerk Atlas angreifen möchte.
Die Frage, die mich aktuell bewegt:
Was ist, wenn Facebook beschließt, nicht nur selbstgehostete Videos sondern auch selbstgehostete Nachrichten gegenüber anderen Nachrichten zu bevorzugen?
Dass Facebook tatsächlich darüber nachdenkt, News-Inhalte ins eigene Ökosystem zu integrieren, ist kein Geheimnis mehr, wie etwa dieser Artikel in der New York Times verrät:
One possibility it mentioned was for publishers to simply send pages to Facebook that would live inside the social network’s mobile app and be hosted by its servers; that way, they would load quickly with ads that Facebook sells. The revenue would be shared.
Was nach dieser Erkenntnis noch offen bleibt und allein durch Facebook zu beantworten sein wird: Wird das Netzwerk dabei – wie einst auch AOL – auf eigene Redaktionen setzen oder (zusätzlich) einen Platz für Medienanbieter schaffen, der ähnlich funktioniert, wie heute schon eine Facebook-Fanpage? Eine Lösung, wie speziell auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittene Newsangebote von Dritten in eine Social-Media-App integriert werden können, zeigt gerade der neue Discovery-Reiter von Snapchat.
Offensichtlich wissen die Branchenführer unter den Digital-Native-Medien schon längst, was auf sie zukommen könnte. Nicht ohne Grund erstellt zum Beispiel Vox Media in den USA „native“ soziale Inhalte – also News und Videos, die ausschließlich für soziale Medien und insbesondere Facebook produziert und nur dort verbreitet werden.
Aus Sicht eines klassischen Verlages macht das aktuell so gut wie keinen Sinn. Warum auch teure Inhalte auf Facebook kostenlos verschleudern, ohne die Aussicht auf eine Monetarisierung oder auch nur Daten der Nutzer?
Nun die Antwort ist einfach: Die Monetarisierung wird über kurz oder lang kommen. Dann will Vox Media bereit dafür sein und sich die Einnahmen mit Facebook teilen. Und ganz ehrlich: Soooo schwierig kann es doch nicht sein, nach dem Youtube-Vorbild Anzeigen in „native“ Facebook-Videos einzublenden…
Läuft die Anzeigenmaschine von Facebook erst einmal an, dann wird sie aller Voraussicht nach um Lichtjahre effektiver sein, als die von Google.Das bringt uns zum nächsten Punkt, der nicht nur den Verlagen, sondern auch Google Angst machen sollte: Läuft die Anzeigenmaschine von Facebook erst einmal an, dann wird sie aller Voraussicht nach um Lichtjahre effektiver sein, als die von Google. Denn während Google zwar sehr gut raten kann, wer seine Anzeigen gerade sieht und diese inhaltlich an ihr Umfeld anpasst, WEISS Facebook genau, wer sich gerade den jeweiligen Beitrag ansieht – und kann deshalb über alle Maßen hinaus personalisierte Werbung ausspielen.Die Daten dazu haben wir Facebook durch viele Likes, Profil-Erstellungen und unser Verhalten im Netzwerk praktischerweise selbst geliefert.
Und das führt uns zu den aktuellen Änderungen der AGB von Facebook, die seit 1. Februar ohne Widerspruchsmöglichkeit durch die Nutzer gelten. Kern der Änderung ist quasi eine Rundum-Überwachung der Facebook-Nutzer auch abseits von Facebook auf jeder Seite, die einen Facebook-Button einsetzt – so wie übrigens auch wir bei LousyPennies.
Facebook weiß also, welche Seiten wir bevorzugt besuchen und wird dann sowohl im eigenen Netzwerk als auch auf Fremdseiten, die Atlas-Werbung nach dem Vorbild von Google-Adsense einbinden, personalisierte Anzeigen ausgeben können. Darüber, ob Facebooks Algorithmus künftig Seiten im Newsstream bevorzugen wird, die auf Atlas-Anzeigen statt Adsense setzen, möchte ich hier nicht einmal spekulieren…
Also nochmal zusammengefasst:
Facebook arbeitet sehr wahrscheinlich gerade daran, selbst zum Medienanbieter zu werden – beziehungsweise Medienanbieter dazu zu bringen, ihre Inhalte direkt auf der Plattform zu vertreiben. Daran, wie bisher, die Nutzer aus Facebook auf andere Seiten heraus zu leiten, wird Facebook wohl künftig noch weniger Interesse haben.
Medienanbieter werden die Möglichkeit haben, eigene Inhalte auf Facebook direkt zu Geld zu machen.Über kurz oder lang werden Publisher/Medienanbieter die Möglichkeit haben, eigene Inhalte auf Facebook direkt zu Geld zu machen, indem sie an den Einnahmen beteiligt werden, die dadurch entstehen, dass Facebook neben oder auf diesen Inhalten Werbung anzeigt. Vermutlich werden auch zahlreiche Facebook-Only-News-Startups entstehen. Und viele traditionelle Medienhäuser werden jammernd daneben stehen.Erst Recht, wenn Facebook dieses Vorgehen auch noch auf Instagram und Whatsapp ausweitet.
Ist das nun alles schlecht? Ich weiß es nicht. AOL war ja zu seiner Zeit auch ganz toll. Und ich mag Facebook eigentlich und sehe auch die Möglichkeit, für ganz tolle Anwendungen. Aber Todessterne haben mir schon immer etwas Angst gemacht…
Lest dazu auch Episode 2: So flauschig leben Journalisten auf dem Todesstern!
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Lieber Karsten, deine Analyse hat mir sehr gut gefallen. Bleibt am Ball. Vielleicht zur Anregung: 80% unseres Lebens, verlaufen in einem Umkreis von 20 km! Vernetzte regionale Netzwerke könnten eine Alternative sein.
Lieber Robert, genau aus diesem Grund liebe ich ja die persönliche Vernetzung in der Offline-Welt mit all den interessanten Menschen, die ich in den virtuellen Weiten kennengelernt habe.
Hallo Robert, aber kann das Facebook auch nicht viel besser? Immerhin weiß Facebook wo seine User sich gerade aufhalten und kann die Nachrichten genau darauf zuschneiden.
Ja, es ist ein bisschen gruselig, und die aktuellen Änderungen waren auch der Anlass für uns die facebook „Like“ buttons und das social plugin aus dem blog rauszuwerfen (den ganz stinknormalen Link zur zugehörigen fb-Seite gibt es ja nach wie vor). Man freut sich ja durchaus über fb-likes, aber müssen wir „Anbieter“ fb wirklich ständig unsere Besucherzahlen (und die Benutzer-IDs) frei Haus liefern? Das es da, insbesondere für Menschen die von ihren Seiten leben wollen, gewisse wirtschaftliche Zwänge gibt mit dem Imperator (um im Bild zu bleiben) zu kooperieren, das ist natürlich schon klar. Aber ob der Schuss nicht am Ende doch nach hinten losgeht … nunja. Der Schritt von „ich gebe fb kostenlos meine Zahlen“ zu „ich bezahle fb damit ich da nicht untergehe“, der ist nicht weit.
Mich begeistert das nicht besonders. Wenn Facebook selbst zum Medienanbieter wird und uns immer nur das anbietet, was uns aufgrund unserer bisherigen Interessenslage wahrscheinlich auch in Zukunft interessiert, wo bleiben dann die Überraschungen? Wo bleibt das, was wir nicht hören wollen (aber vielleicht hören sollten)? Ein datenhungriger Todesstern als Gatekeeper über alles, was mich zu interessieren hat… Moment, ich hole mal eben den X-Wing-Fighter aus dem Keller.
Ein lesenswerter Artikel. Danke! Mir fehlt allerdings eine etwas fundiertere Analyse der Google-Möglichkeiten und nicht nur die Reduzierung auf Adsense. Denn auch der G+-Button befindet sich fast überall. Und wenn nicht der Knopf des seltsamen Netzwerkes wird bei einem Großteil aller Websites auch Google Analytics eingesetzt. Und dann gäbe es da noch die Super-Cookies und andere Tracking-Varianten. Meine Gegenthese: Google wusste, weiß und wird auch in Zukunft mehr als jedes andere Unternehmen wissen, was wir (gerne) lesen. Es ist vernetzter, bietet deutlich mehr Dienste an und Facebook wirkt dagegen immer noch wie eine AOL-CD mit 50 Gratisstunden. Ich gehe mit Dir konform, dass sich durch diese Entwicklung etwas ändern wird. Das größere Wissen hat allerdings Google. Leider.
Lieber Sebastian,
ja, stimmt – um Google kümmern wir uns das nächste Mal nochmal ausführlich. ;-)
Nun, mobil fliegen da aber schon mehrere Todessterne rum, heißen vor allem Apple und Google. Stichwort: Apps. Statt guter mobiler Seiten und einem freien Browser, gibt es für jede Seite eine eigene App – an der bei Finanzierung ebenfalls Google/Apple mitverdient.
Hmm … ich grüble ja gerade ob das mit den Spezial-Apps z.B. für facebook nicht sogar ein Vorteil ist – wenn ich im Handy-Browser nie fb verwende, dann liegt da auch kein fb-Cookie rum – ergo erfährt fb auch nicht was ich in eben diesem Browser sonst noch so treibe. Oder?
In der Theorie ja. In der Praxis öffnen sich aber Links aus Facebook nicht im Browser, sondern in einem eigenen facebook-App-Browser.
Spannend wird auch die Entwicklung beim Facebook Browser, der Nutzer noch stärker an Facebook bindet und Nutzer die Plattform eigentlich überhaupt nicht mehr verlassen müssen. Besonders Nutzerfreundlich ist der Browser bis jetzt nicht, aber da kommt bestimmt noch was und dann spielt Facebook auch bei Browsern eine ganz wichtige Rolle.
Sehr guter, wenn auch sehr Übel machender Beitrag. Als von Beginn an facebook Verweigerer erschreckt es mich, wie die Menschen in diesen „Staat“ strömen und sich freiwllig dieser Diktatur aussetzen, ja sogar vehement verteidigen – wie jeder Abhängige seine Sucht. Das wir die mögliche Vielfalt des Internets auf immer größer werdende Monopole reduzieren, macht dagegen traurig. Scheinbar überfordert uns diese, womit Herdentrieb und Bequemlichkeit in der Folge leichtes Spiel haben. In einem realen Staat mit diesen Ausprägungen wären Alle längst auf die Strasse gegangen, aber es ist ja nur ein „virtueller“, da ist das nicht so schlimm. Über die Folgen und Auswirkungen wird sich leichtsinnigerweise kein Kopf gemacht. Irgendwann wird es dann heißen: „Die Geister, die ich rief, werd‘ ich nun nicht mehr los.“
Unverständlich, und auch hier erwähnt, bleibt die EInbindung der „Verfolgungs“-Buttons. Mit c’t Shariff von heise security (http://heise.de/-2467514) und SiN-SocialShare von Peer Wandiger (http://www.selbstaendig-im-netz.de/2013/11/25/social-web/sin-socialshare-plugin-4-betaversion/) existieren zwei Lösungen für WordPress, was ja auch hier zum Einsatz kommt, die das direkte Tracking verhindern. Man könnte also, wenn man wollte.
Aber über die Jahre hat facebook natürlich Stoff für viele tausend Artikel geliefert. Was würden wir wohl sonst geschrieben hätten?
Spannender Beitrag. Wobei die Überschrift vor allem die Gefahren herausstellt, der Text aber durchaus auch auf die Chancen hinweist. Also vielleicht eher Geburtshelfer – und nicht Todesstern?
Ja, ich sehe da durchaus auch Chancen – ist halt immer eine Frage der Perspektive. Denn es gab ja auch viele Leute, die auf dem Todesstern gelebt und gearbeitet haben…
In den Zusammenhang schon mal was von FACEBOOK PAPER gehört oder gelesen..? Diese APP ist aktuell nur in Amerika erhältlich aber hier werden dem Nutzer zum eigenen FB Feed noch die Möglichkeit geboten News zusammenzustellen aus Redaktionellen Beiträgen von Zeitungen… Geniale App und man umgeht mit ihr auch den in Deutschland implementierten Messenger Zwang für Nachrichten über Facebook…
Würde es genügen, ausschliesslich einen Browser für Facebook (vollkommen bereinigt um jeder Art von Daten) und ausschliesslich einen Browser für den ganzen Rest zu verwenden?
Toller und lesenswerter Artikel!
Der Nachteil gegenüber Google ist aus Facebooks Sicht aber zur Zeit, dass ihr Werbenetzwerk wahrscheinlich nur so lange funktionieren wird, wie die Leute auch ihr soziales Netzwerk aktiv nutzen. Wenn sie sich irgendwann mal von Facebook abwenden sollten, hilft ihnen dann auch ihr neues Werbenetzwerk nicht mehr viel. Natürlich könnte man sich auch zu den Google-Diensten Alternativen suchen, aber die sind inzwischen so breit aufgestellt, dass es schwierig werden könnte, wirklich auf alles zu verzichten. Bei Facebook hängt, so kommt es mir vor, (noch) sehr viel von ihrem sozialen Netzwerk ab.
Ja, genau deshalb ist ihnen guter Content, der die Nutzer im eigenen Ökokosmos hält, auch so wichtig – glaube ich…
Vielleicht hatte der Microsoft-Gründer recht?
“Das Internet ist nur ein Hype.”
Bill Gates, 1995
Ich teile Ihre Ansicht nicht, dass das Facebook Werbenetzwerk deutlich effektiver als Google sein wird.
Grund 1: Die meisten Menschen sind auf Facebook sehr passiv – sie liken und kommentieren gar nicht oder wenig. Die große Masse benutzt allerdings Google als Suchmaschine und durch die immer häufigere Anmeldung auf Google, Gmail, Youtube usw lern Google sehr viel über seine User.
Grund 2: Bei der Suche in Suchmaschinen wird Werbung genau dann angezeigt, wenn der User nach einem Begriff sucht und mehr dazu wissen will (z.B. Audi A3). Auf Facebook wird derzeit Werbung ausgespielt, die den Interessen entspricht. Aber nur weil ich ein Fan von Audi bin, heißt das nicht, dass ich jetzt oder demnächst ein Auto kaufen will.
Haben Sie das in Ihren Überlegungen bedacht?