Vergesst mal kurz die Krautreporter – hier kommt Substanz
2Zwei Wissenschaftsjournalisten machen ihr eigenes Ding: das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Hier verraten Georg Dahm und Denis Dilba, wie sie es geschafft haben und was sie bewegt.
Ganz Deutschland spricht von den Krautreportern. Nein, nicht ganz Deutschland. Hier und jetzt wollen wir über ein Projekt sprechen, das für mich neben den Krautreportern DAS journalistische Crowdfunding-Projekt des vergangenen Jahres gewesen ist: Substanz, das Wissenschaftsmagazin der beiden Ex-FTD-Journalisten Georg Dahm und Denis Dilba, für das die beiden in einer sehr professionellen Kampagne rund 37.000 Euro bei Startnext einsammelten.
Am 28. November vergangenen Jahres ist Substanz nun live gegangenen – und ist, wie ich persönlich finde, wunderschön geworden. Da ich bereits im Vorfeld des Crowdfundings mit den beiden Machern gesprochen habe, wollte ich nun wissen, wie es weiter geht und was sie anderen Journalisten empfehlen können, die darüber nachdenken, ebenfalls ihr eigenes Ding zu machen. Ein Gespräch, das mich wieder einmal sehr inspiriert hat. Euch auch?
„Wir wollen gutes Handwerk zum Leuchten bringen“
Hallo Georg, Hallo Denis. Herzlichen Glückwunsch, mit Substanz habt Ihr nun Euer eigenes Ding online. Was ist Eure wichtigste Erkenntnis aus den letzten Monaten bis zum Start?
Alles schön und gut, aber es wird alles länger dauern, anstrengender sein und teurer werden, als Ihr denkt.Georg: Nun ja, wir haben uns in der Planungsphase viel mit erfahrenen Gründern getroffen und alle haben uns gesagt: „Alles schön und gut, aber es wird alles länger dauern, anstrengender sein und teurer werden, als Ihr denkt.”Am Anfang willst du das natürlich nicht hören. Aber jetzt können wir sagen: Es stimmt wirklich. Es ist immer so, das ist normal. Und das zu wissen, ist dann sehr beruhigend, wenn es tatsächlich so weit kommt.
Wo ist es denn so weit gekommen?
Georg: Wir haben zum Beispiel gelernt, dass man sehr, sehr skeptisch sein sollte bei allen Ansagen, die Dienstleister jeder Couleur machen. Die haben immer die beste und einfachste Lösung, die ab Werk alles kann…
Denis: …kann sie natürlich nicht.
Georg: Und wenn der Bankberater sagt, das wird alles ganz einfach, ist natürlich auch nicht das Geringste einfach. Also sollte man zu allen Puffern, die man sowieso schon in seinem Businessplan einplant, lieber nochmal einen Puffer hinzufügen.
Hättet Ihr Euch manchmal einen Verlag im Rücken gewünscht?
Wir müssen uns ja mit vielen Sachen beschäftigen, von denen wir als angestellte Redakteure die Finger lassen konnten.Denis: Andauernd (lacht). Nee, aber so eine Verlagsstruktur macht dir natürlich vieles leichter. Wir müssen uns ja mit vielen Sachen beschäftigen, von denen wir als angestellte Redakteure die Finger lassen konnten. Manchmal hätten wir uns zum Beispiel den Luxus gewünscht, den ganzen Papierkram einfach in den grünen Hauspostumschlag zu packen und an die Buchhaltung zu schicken.Georg: Das ist auch eine Demutslektion. Wir haben sehr viel Respekt gewonnen vor den Verlagskollegen, deren Arbeit du als Redakteur sonst gar nicht so mitbekommst
Wie habt Ihr das Problem gelöst?
Georg: Indem wir einige Dinge outgesourcet und das Team erweitert haben. Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass wir Leute brauchten, die uns von den klassischen CvD-Aufgaben entlasten. Wir haben dann dafür zwei junge Kolleginnen reingeholt, die machen das super. Das war eine unheimlich gute Investition.
Dafür haben wir schmerzhaft an anderen Stellen gespart: an uns. Im Verlag würdest du zum Geschäftsführer gehen und um mehr Budget betteln. Als Startup-Gründer fragst du dich halt, ob du wirklich jeden Tag warm essen musst (lacht).
Denis: Aber ganz im Ernst: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr wichtig ist, seine eigenen Limits zu kennen und im Zweifelsfall Experten reinzuholen. So vermeidet man teure Fehler.
Wie gefällt Euch eigentlich selbst Euer Baby?
Georg: Es ist natürlich das schönste Kind der Welt und gefällt uns richtig gut. Es macht jetzt unglaublichen Spaß, im Regelbetrieb zu arbeiten und an den Geschichten zu feilen.
Im Crowdfunding habt Ihr mehr als 37.000 Euro eingenommen. Ein gutes Polster für den Start…
Das Geld ist längst weg, das steckt in der Technik und in den Geschichten.Georg: Das Geld ist längst weg, das steckt in der Technik und in den Geschichten. Aber es war ja auch nur ein Teil unserer Gesamtfinanzierung, die aus mehreren Bausteinen besteht: ein Gründerkredit, unsere Ersparnisse und das Geld eines Privatinvestors.Also war das Crowdfunding nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?
Ohne das Crowdfunding gäbe es uns nicht. Und das war das Ding, das uns bekannt gemacht hat. Denis: Nein, das war schon eine wichtige Tranche, die wir zu der Zeit gebraucht haben. Ohne das Crowdfunding gäbe es uns nicht. Und das war das Ding, das uns bekannt gemacht hat.Mit der Crowdfunding-Kampagne und dem Medienecho darauf hat die Markenbildung von Substanz angefangen, und das war ja auch gleichzeitig unser erstes Marktforschungsinstrument. Das war einfach der richtige Baustein zur richtigen Zeit.
Man darf aber auch nicht vergessen: Crowdfunding ist harte, harte, Arbeit. Das ist ein 24/7-Job.
Georg: Wenn man die Möglichkeit hat, dann würde ich immer raten, sein Produkt so weit wie möglich zu entwickeln, bevor man ins Crowdfunding geht. Je schneller du nach der Kampagne starten kannst, desto mehr kannst du noch von der Welle mitnehmen.
Das Crowdfunding hat auch ja auch die ersten zahlenden Abonnenten beschert. Wie wollt Ihr denn weiter Euer Geld verdienen?
Denis: Im Wesentlichen über die Verkaufserlöse, also über weitere Abos und Einzelverkäufe. Aber es wird auch Anzeigen geben, aber keine aggressiven Banner. Wir reden da auch schon mit Vermarktern und potenziellen Kunden.
Ihr seid nicht anzeigenfrei?
Georg: Nein, auf Dauer nicht. Wir machen das wie klassische Magazine, die sich ja auch durch einen Mix aus Anzeigen und Verkaufspreis finanzieren. Wir verlangen 3 Euro für einen Beitrag oder 9 Euro für einen Monat. Ohne Anzeigen hätten wir Preise, die nur ganz wenige russische Oligarchen bezahlen könnten.
Welche Zielgröße an Abos peilt Ihr an?
Denis: Wir haben eine Zahl im Businessplan, die wir im dritten Geschäftsjahr erreichen müssen. Sie liegt im mittleren bis oberen vierstelligen Bereich.
Georg: Sagen wir es mal so: Wenn wir 5.000 Abos haben, ist ein Großteil geschafft.
Wie viele davon habt Ihr jetzt schon?
Denis: Das kann man jetzt noch nicht seriös beantworten. Wir sind noch viel zu jung, das muss sich erst entwickeln. Wir haben aktuell eine Menge Leser, die Substanz erstmal ausprobieren. Wie viele davon dauerhaft bleiben, kann man noch nicht sagen.
Warum habt Ihr bei der Bezahlung auf LaterPay gesetzt?
Mit einem eigenen Bezahlsystem hätten wir uns zu viel aufgebürdet.Georg: Mit einem eigenen Bezahlsystem hätten wir uns zu viel aufgebürdet. Wir haben schnell gemerkt, dass wir einen externen Partner brauchen, der uns diesen Teil abnimmt und auch Supportanfragen beantwortet. Und mit LaterPay hatten wir auf einen Schlag alle wichtigen Bezahlwege im Sack.Denis: Außerdem glauben wir an die prinzipielle Idee. Wenn du mal hier, mal da einen Artikel kaufst, willst du nicht gleich überall deine Kontodaten hinterlegen. Du gibst sie lieber nur einmal einem Dienst wie Laterpay, dem du vertraust, und der reicht das Geld dann durch.
Wofür braucht Ihr das viele Geld?
Denis: Was wir machen, ist sehr teuer. Vor allem, weil wir wirklich alle Leute fair bezahlen, die an Substanz mitarbeiten – von den Programmierern bis zu den Autoren.
Was zahlt Ihr den Journalisten?
Wir zahlen unseren Autoren Tagessätze von 250 Euro. Georg: Wir zahlen unseren Autoren Tagessätze von 250 Euro. Wenn wir eine Geschichte bestellen, besprechen wir dabei den zu erwartenden Aufwand. Im Schnitt sind das fünf Arbeitstage.Denis: Dazu kommen dann noch die Spesen, wir wollen ja, dass unsere Autoren reisen. Aber auch hier wieder: In Absprache mit uns – 14 Tage Vor-Ort-Recherche in der Karibik kriegen wir noch nicht ganz hin.
Warum sollten Autoren gerne bei Substanz veröffentlichen wollen?
Georg: Weil wir Ihnen was bieten, was andere Redaktionen nicht bieten können.
Das ist jetzt leicht gesagt. Konkreter bitte.
Georg: Wir bieten ihnen eine Spielwiese, die sie sonst nur selten finden. Es gibt in Deutschland ja nicht so viel Raum für große Wissenschaftsgeschichten. Wir geben unseren Autoren keine Zeichenzahl vor, wir sagen ihnen: Schreib die Geschichte so auf, wie du sie toll findest, in der Länge, die sie trägt. Ob das nun 15.0000 oder 25.000 Zeichen sind, ist erstmal egal. Und dann betreiben wir einen Aufwand bei der Inszenierung dieser Geschichten, der auch nicht üblich ist.
Wir sind offen für Geschichten, die klassische Medien nicht nehmen.Denis: Und wir sind offen für Geschichten, die klassische Medien nicht nehmen, weil sie darin den aktuellen Aufhänger vermissen. Normalerweise besuchst du den Wissenschaftler, wenn er gerade die große Studie veröffentlicht hat. Wir besuchen ihn auch gerne zwei Jahre später, wenn er sich an den Folgefragen abarbeitet. Wir wollen ja authentisch zeigen, was es heißt Wissenschaftler zu sein.Gibt es Geschichten bei Substanz, die Euch besonders am Herzen liegen?
Georg: Tut mir leid, wenn das wie Marketing klingt: Aber wir möchten ganz bewusst keine Geschichte hervorheben, sondern freuen uns auf jede einzelne. Unsere Botschaft ist: Lasst Euch jede Woche aufs neue überraschen.
Denis: Wir dürfen ja im Alltag das machen, was sich andere Redaktionen als Bonbon leisten. Es gibt so tolle Projekte, zum Beispiel die 360-Grad-Geschichten bei der Süddeutschen, oder was Spiegel Online und Zeit Online machen. Aber in deren Geschäftsmodellen ist das Experiment die Ausnahme, und wir wollen daraus die Regel machen.
Ich weiß, es ist noch recht früh. Aber habt Ihr schon Bereiche entdeckt, in denen Ihr noch besser werden wollt?
Das ist immer eine Abwägungsfrage: Was können wir jetzt schon so umsetzen, dass es auf allen Geräten läuft und bezahlbar ist?Denis: Wir haben noch ganz viele Ideen für Layout-Effekte. Das ist immer eine Abwägungsfrage: Was können wir jetzt schon so umsetzen, dass es auf allen Geräten läuft und bezahlbar ist? Und was nehmen wir uns für später vor?Georg: In unserer Rubrik „Labor” stehen Geschichten, die wir von Hand gebaut haben. Und da probieren wir Sachen aus, die vielleicht in Serie gehen können. Zum Beispiel haben wir in unserer Gluten-Story Infosymbole, die klickst du an und bekommst den Abstract, also die Zusammenfassung der wissenschaftlichen Studie, eingeblendet, um die es gerade geht – ein bisschen wie eine Fußnote. Das kommt gut an, das wird unser nächstes Standard-Feature, und damit rüsten wir dann auch Geschichten nach, die schon erschienen sind.
Zum Schluss noch eine Frage: Warum sollte ich Substanz als Nicht-Wissenschaftler lesen?
Georg: Wir sagen immer: Auch wenn Ihr glaubt, dass Ihr euch nicht für Wissenschaft interessiert – kuckt es euch einfach mal an. Es ist unser Anspruch, jedes noch so spröde Thema so zu drehen, dass es Spaß macht. Substanz soll ein Ort sein, an dem wir mit den digitalen Werkzeugen, die wir heute haben, gutes Handwerk zum Leuchten bringen.
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Wirklich ganz ausgezeichnet, der Hinweis auf Substanz. Habe mir heute meinen ersten Artikel geleistet und bin schwer begeistert. Vor allem die Bilder (und wie sie präsentiert werden) sind schon klasse.
Von den Themen her ist das natürlich ein etwas anderes Spektrum als die Krautreporter, aber aus dem „vergesst mal kurz“ kann schnell ein „vergesst ruhig etwas länger“ werden. Der Sympathiewert der beiden Substanz-Macher ist jedenfalls hoch und hat nichts Arrogantes wie „wir retten den Wissenschaftsjournalismus“. :)
Super Artikel, der zeigt, dass man sich nichts vormachen soll, aber durchaus etwas wagen darf.
Was die Aufmachung der Artikel angeht, kann ich mich meinem Vorredner nur anschließen: richtig gut. Mir gefällt auch, dass die Autoren Fragen stellen, die mich auch beschäftigen, beispielsweise „was machen die da eigentlich?“ (die Code Kriege). Für solche Geschichten gebe ich dann auch gerne Geld aus.