Die angebliche Kostenloskultur im Internet ist nur eine günstige Ausrede
3Die Kostenloskultur im Internet ist ein Mythos, der fehlende Geschäftsmodelle und Anpassungswillen entschuldigen soll, schreibt Laterpay-Gründer Cosmin Ene in diesem Gastbeitrag. Doch das Internet hat uns auch die Dienstleistungsmentalität gelehrt. Inhalteanbieter, die das beherzigen, können gewinnen.
VON COSMIN ENE
Kostenlosmentalität ist eine Worthülse, ein Ausdruck der Resignation, eine Entschuldigung für den Widerstand gegen das Neue. Es ist die linguistische Rechtfertigung dafür, dass viele Inhalteanbieter keine adäquaten Geschäftsmodelle für den Verkauf digitaler Inhalte gefunden haben. Die Transformation von Geschäftsmodellen aus der analogen in die digitale Welt hat nicht geklappt: Wenn man ein Abo eines analogen Produktes in die Netzwerkleitung presst, kommt nicht das Abo eines digitalen Produktes raus.
Das Internet hat die Dienstleistungsmentalität etabliert: Deren linker Arm ist die Linkkultur und der rechte Arm die Teilungskultur. Der User lebt diese Dienstleistungsmentalität: Er kauft und konsumiert bei denen, die das verstandenen haben.
Das Internet ist der perfekte Dienstleister – aber es braucht Helfer, die diese Leistung in eine für Menschen erträgliche Geschwindigkeit und Portionierung wandeln. So, wie die meisten von uns keine professionelle, industrielle Kaffeemaschine zuhause haben sondern Pad- und Kapselmaschinen. Kaffee aus professionellen Industriemaschinen ist natürlich besser und günstiger pro Einzeltasse. Aber trotzdem kaufen die Menschen Pads und Kapseln. Warum? Weil sie einfacher, schneller und bequemer sind. Und dafür zahlen viele sogar mehr. Es liegt an den Inhalteanbietern, das zu erkennen.
Der Internetdreisatz für Inhalteanbieter lautet: Erstens den User in den Mittelpunkt stellen, zweitens Zusatznutzen schaffen und drittens Bezahlinhalte schnell und einfach zugänglich machen. Natürlich ist dabei die Privatsphäre des Users zu achten, aber dieser Punkt ist im ersten Punkt enthalten.
Inhalteanbieter müssen die Dienstleistungsmentalität beherzigen, wenn sie Geld verdienen wollen. Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Wie bediene ich den User mit meinem Inhalt so, dass er sie als Dienstleistung empfindet, einen klaren Nutzen erkennt und bereit ist dafür Geld zu bezahlen?
Der Erfolg der Spieleanbieter im Internet erklärt sich am Beispiel Mobile Games und der vielen Spiele, die für Anfänger oder Gelegenheitsspieler gedacht sind. Das Prinzip eines erfolgreichen Spiels lässt sich in einen Satz packen: seconds to learn, years to master. Ich brauche wenige Sekunden, um in das Spiel einzusteigen, zu spielen und das Spiel zu verstehen – aber ich brauche Jahre, um richtig gut zu werden. Der Spieltrieb nährt das Bestreben immer besser zu werden – weil mich das Spiel herausfordert.
Auch redaktionelle Inhalte fordern heraus. Als Nicht-Verlagsmensch blicke ich als Konsument und nicht als Profi auf die Inhalte. Ich kaufe ein Brandeins-Heft, weil ich überrascht, herausgefordert werden will. Ob polarisierend, erklärend oder zum Nachdenken anregend – eine Herausforderung ist immer da. Und dafür bezahle ich, unabhängig vom Medium oder der Darreichungsform. Egal ob am Kiosk oder im Internet (wenn es denn ginge).
News sind etwas schwieriger, da News im Internet als Commodity verstanden werden – eine Art Dienst an die Gesellschaft. Wenn News in Mehrwert verpackt werden, entsteht ein Produkt. Wenn jemand um Nachrichten herum weiterführende Informationen anbietet, entsteht ein Produkt mit Mehrwert.
Die Themen wiederholen sich und die Archive sind voll. Dort gilt es, Zusammenhänge zu finden, Erklärungen zu liefern und Komplexität zu reduzieren. Premiuminhalte wie Dossiers, Videos, Studienauszüge, Expertenmeinungen – all das macht den User schlauer und geht über die reine Nachricht hinaus.
Nachricht plus gesprochene Variante sind ein Mehrwert.
Nachricht plus Zusammenfassung in zwei Sätzen sind ein Mehrwert.
Nachricht plus Erklärvideo aus dem Archiv sind ein Mehrwert.
Inhalteanbieter haben die Macht, Komplexität zu reduzieren, Mehrwerte zu liefern und somit haben sie auch ein Produkt, wofür ich bezahlen würde.
Blogger und Self-Publisher, die als Early Adopters selbstbestimmt publizieren, zeigen Möglichkeiten auf: Sie probieren aus, verbessern und entwickeln ihr Angebot weiter.
Auch manche Verlage sollten dem Internet als Dienstleister begegnen, ausprobieren, verbessern und ihr digitales Angebot weiterentwickeln.
Ideen, Modelle und Ansätze gibt es viele. Was fehlt, ist der Wechsel des Blickwinkels. Das Internet als Dienstleister zu betrachten heißt, die Chance, die es bietet, zu ergreifen und die Gestalterrolle zu übernehmen.
Die Erkenntnis, die dem am Anfang steht: Im Internet ist selbst ein Großverlag ein Startup.
Über den Autor
Cosmin Ene (40), ist Gründer und Geschäftsführer des Münchner Start-ups LaterPay. Als Micropayment Enabler vereinfacht LaterPay den Verkauf von digitalen Inhalten. Vor LaterPay baute Cosmin Ene als Mit-Gründer den Musik-Sender DELUXE MUSIC auf und war für den Risikokapitalgeber TecVenture Partners tätig.
Sehr gut, sehr erfrischender Blickwinkelwechsel, ein Blick quasi aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung auf das bekannte Problem der mangelnden Bezahlfreude. Ich denke, dass der Beitrag Verlage weiterführen kann. Wenn man nicht von der Leserzahlen her denkt (Reichweite generieren), sondern vom Lesernutzen, kommt man zu neuen Gedankenketten wie z.B.: Für wen ist Artikel X zu welchem Zeitpunkt oder aus welchem Anlass relevant?
Relevante Angebote werden ja heute auch schon von denen bezahlt, für die sie relevant sind, zum Teil sogar sehr hoch bezahlt. Im Idealfall sind Zeitungen ja nicht bloße Sammler von generischen Nachrichten, sondern Produzenten von relevantem Wissen (wobei Relevanz auch Glaubwürdigkeit, Umsichtigkeit in der Recherche, plausible Einordnung in Zusammenhänge, also typische redaktionelle Qualitätssicherungsprozesse einschließt).
Abgesehen von dieser Chance gibt es eine Hürde Nr. 2 für den Absatz von Bezahlprodukten, das Zeitbudget-Problem: Wie viel Zeit bleibt nach Nutzung der Gratis-Angebote noch übrig? Eine Analogie dazu findet sich beim Pay-TV. Sky TV hat zwar jede Menge begehrte Inhalte, kämpft aber gegen ein breites Angebot an Free-TV an. Wie ist Sky trotzdem in die schwarzen Zahlen gekommen? a) Sie bieten das, was für Zuschauer eine hohe Relevanz besitzt. b) Sie segmentieren Zielgruppen und machen denen entsprechende Angebote, die im generischen Free-TV nicht zu haben sind. Wenn es richtig ist, dass dass die Menschen letztlich immer für das Zeit und Geld haben, was sie dringend interessiert, dann wäre das nicht aber nur eine Frage der Relevanz, sondern auch wie die Leser möglichst komfortabel, spezifisch und innerhalb der passenden Preismodelle zu den Angeboten finden, die sie dringend lesen „möchten“. Wie entdecken die Leser zu einem frühen Zeitpunkt die spezifischen Leseangebote, für die bei ihnen eine individuelle starke Lesemotivation vorliegt?
Diesen Nachklapper liefert heute die Timeline:
Rheinische Post startet „7 Tage Schwarz-Weiß-Grün“ – „digitale Zweitverwertung“ http://bit.ly/11S7NWa
Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Teile Deine Ansicht. Zur letzten Frage denke ich, dass noch viel experimentiert werden muss um den User besser bedienen zu können. Dazu gehört neben der Entwicklung von „Benefits“ rund um die Inhalte herum auch das Senken der Eintrittsschwelle zu Bezahlinhalten, z.B. mit Hilfe von Technologie und besserer User Experience. Aber auch das Angebot neuer Aggregatoren ist vielversprechend, solange die Aggregatoren aus User Sicht heraus entwickelt werden und der Inhalteanbieter Geld damit verdienen können. Solange bei diesen Experimenten der User immer im Mittelpunkt steht, kann der Inhalteanbieter nur gewinnen: lernen, Beziehung aufbauen, Geld verdienen.