Ishin-Denshin-Bloggen: Schreiben von Herz zu Herz
8Auf diese Frage war ich nicht gefasst: „Worüber soll ich denn eigentlich schreiben?” Meine Antwort – so dachte ich – fiel eher hilflos aus: „Schreib über das, was Dir am Herzen liegt.“ Ich machte mich auf einen kleinen Shitstorm gefasst. Doch was dann passierte …
Die Situation spielte sich bei unserem ersten Bloggerseminar im Presseclub München ab, und viele der Teilnehmer waren Journalisten. Für mich schien es an sich klar, dass alle Anwesenden bereits beim Buchen von „Bloggen für Einsteiger“ wussten, über welches Thema sie auf ihrer künftigen Seite schreiben würden. Deshalb traf mich die Frage „Worüber soll ich eigentlich schreiben?“ unvorbereitet. Meine intuitive Antwort lautete: „Schreib über das, was Dir am Herzen liegt.“
Eine so simple Antwort auf eine große Frage? Das konnte die Teilnehmer doch nicht zufrieden stellen? Erstaunlicherweise schien aber genau dieser Satz bei Einigen eine innere Tür zu öffnen. Seitdem hat mich dieser Augenblick weiter beschäftigt.
Sollten – ja dürfen – Journalisten überhaupt darüber bloggen, was ihnen am Herzen liegt? Was heißt es, wenn einem ein Thema „am Herzen liegt“?
Von Herz zu Herz
Die Japaner haben einen schönen Ausdruck: „Ishin Denshin“. Lapidar übersetzt heißt das „von Herz zu Herz“ und beschreibt ein gemeinsames Verständnis zwischen mehreren Personen ohne Worte. (Die genaue und richtige Erklärung von Ishin Denshin findet Ihr hier.)
Auch wenn das hier nicht korrekt im ursprünglichen Sinne ist, ging mir diese Redewendung “von Herz zu Herz” im Zusammenhang mit Bloggen nicht mehr aus dem Sinn. Denn wenn man mit Herzblut zu einem Thema schreibt, dann erreicht man diejenigen, denen das Thema ebenfalls am Herzen liegt. Das schafft eine starke und emotionale Bindung. Etwas das viele Marken verzweifelt versuchen bei ihren Kunden herzustellen.
Man kann dadurch also eine starke Bindung zwischen Autor und Leser schaffen.
Da einem bekanntlich das Herz überquillt …
… erledigt sich aus meiner Sicht auch die Frage danach, ob ein Thema oder eine Sache genug hergibt für ein Blog. Wenn einem etwas am Herzen liegt, wird man selbst vernetzt sein mit den wichtigen Informationsquellen. Man bekommt mit, wenn sich etwas Neues tut, man will immer mehr wissen, gräbt immer tiefer.
Nichts ist schwerer wieder zu gewinnen als ein enttäuschtes LeserherzDieses Wissen will irgendwann wieder heraus, in einer schönen Form, spannend erzählt, gut vermittelt – weil es einem am Herzen liegt, wird man keinen Mist schreiben wollen, wird sich Zeit dafür nehmen, es richtig machen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen dabei.Man wird aber auch verletzlich. Fehler zu begehen auf dem Gebiet, das man liebt, das nimmt man sich zu Herzen. Ebenso wie (berechtigte) Kritik der Leser. Und nichts ist schwerer wieder zu gewinnen als ein enttäuschtes Leserherz.
Aber: die Objektivität!?
Da der Journalist gelernt hat objektiv zu sein, klingt das Konzept des „Bloggen, was einem am Herzen liegt“ so, als ob man sich mit der Sache gemein machen würde, als würde man werbende Lobhudelei verfassen. Ein Bruch der journalistischen Ethik.
Das kann passieren, nämlich dann, wenn man seinem Thema nicht gerecht wird. Wenn man beginnt es zu verklären.
Etwas das mir am Herzen liegt, verkläre ich nicht.Einer Sache gerecht werden bedeutet sie so zu sehen, wie sie wirklich ist. Etwas das mir am Herzen liegt, verkläre ich nicht. Wenn ich wahres Interesse an der Sache habe, dann komme ich schnell über die Verliebtheitsphase hinaus, die mir eine rosarote Brille aufsetzt.Ich nehme auch nicht ungefragt hin, wie andere mein Thema sehen, akzeptiere nicht einfach das, was schon hundertmal im Web darüber steht, sondern stelle es richtig, beleuchte es neu. Das wiederum verlangt etwas, was Journalisten von der Pike auf beherrschen: tiefgreifende Recherche – auch offline. Experten finden und interviewen.
Die Angst, dass man die Objektivität beim Schreiben verliert, ist aus meiner Sicht unbegründet. Das Herz schließt den Verstand ja nicht aus. Und der Verstand kennt die journalistischen Grundsätze.
Beispiele, bitte?
Für mich und meine Schottland-Seite geht das Herz-zu-Herz-Bloggen voll auf. Mir gehen die Ideen nie aus, ich erreiche mehr und mehr Leser, bekomme von ihnen viel Rückmeldung und sogar Google honoriert die Art, wie ich mit dem Thema umgehe. Ebenso gibt es den Kollegen Franz Neumeier, der seine Herzensthema „Kreuzfahrten“ behandelt. Und schließlich ist auch Lousy Pennies von Karsten über die Herzensangelegenheit „Journalismus im Internet“ entstanden.
Zugegeben: Ich bin weiter im Denkprozess über das Bloggen mit Herz. Und ich würde gerne Eure Meinung dazu hören: Bringt Euch diese Sichtweise etwas? Oder ist es selbstverständlich? Bloggt Ihr vielleicht schon von Herz zu Herz?
Großes Einverständnis, Stephan. (M)Ein Blog sollte sich unbedingt um ein Thema drehen, für das mein Herz schlägt. Ein Thema, in das ich Herzblut stecken kann. Schwierig wird’s, wenn das herzschlagbestimmende Thema es erfordert, dass ich als Blogger mein Herz bis auf den Grund öffne und die Leser einlade, meine Erfahrungen zu teilen. Ich stehe gerade vor der Entscheidung: Herz aufschließen oder nicht. Denn mein Herzthema ist eins der eher tabuisierten Themen unserer Gesellschaft, ein Blog darüber würde nur funktionieren, wenn ich Ureigenstes von mir und teilweise von Menschen in meinem Herzdunstkreis preisgebe. Nur das wäre authentisch und ehrlich. Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit/mögliche Verletzlichkeit hierbei am größten. Noch kann ich mich nicht Für oder Wider entscheiden. Der Drang, darüber zu bloggen ist groß – die journalistische Verantwortung, u.a. für die wichtige Privatsphäre, ebenso.
Das ist wirklich schwierig. Ich kenne das auch ein bisschen – Thema Hochzeit und Schottland. Letztendlich ist es eine Entscheidung, in die man die Personen am besten mit einbeziehen muss und bei der man eben sehr sensibel sein sollte. Aber wirklich schwer!
Ich habe mit einem Blog angefangen, der einfach kein Thema hatte – oder tausende. Ich war nicht in der Lage mich festzulegen, konnte einfach keine Nische finden, die mich so begeistert hätte, dass ich über nichts anderes mehr schreiben wollte.
Dann gründete ich mit einem Kollegen eine gemeinsame Firma und unsere Blogs sollten integriert werden. Plötzlich ergab sich die Nische von selbst. Bei uns bin ich weniger der Schreiber, ich bin verantwortlich für Social Media, Weiterbildung und Layout. Also habe ich angefangen, über Themen zu bloggen, die genau damit zu tun haben. Und tatsächlich: Je mehr man sich mit einem Feld beschäftigt, desto mehr Ideen und Themen fallen einem dazu ein.
Kleine Abstecher in fremde Gefilde gestatte ich mir einfach trotzdem ab und zu – wenn ich das Gefühl habe, mal wieder eine kleine Auszeit und frischen Wind zu brauchen. Aber im Wesentlichen blogge ich heute über das, was ich für unser Unternehmen vertrete, und ja, das ist das, woran mein Herz hängt.
Wie Stephan schon ansatzweise geschrieben hat, kam es genauso auch zu Lousypennies.de: Jahrelang habe ich mir überlegt, worüber ich bloggen möchte und auch den einen oder anderen Ansatz gestartet, bis ich dann festgestellt habe, dass ich doch einfach über mein Herzblutthema schreiben möchte – den Journalismus.
Mich irritiert das Bild, wonach Bloggen erfordert, dass Herzblut fließt/Herzblut fließen muss. Für mich stimmt etwas nicht bei diesem Bild. Geht es anderen auch so? Oder gibt es nur Herzblut-Blogger?
Dass das Bild Dich irritiert, tut mir leid. Aber wo steht denn im Artikel etwas von „erfordern“ oder „müssen“. Das ist doch nur ein Weg, den man beschreiten kann. Man kann genauso einen Nutzerwert Blog betreiben. Oder etwas ganz anderes. Es ist ein Vorschlag.
Am Anfang wars schwierig. Ungewohnt.
Und dann soll ich noch meinen persönlichen Senf dazu abgeben? Wo bleibt da die in Jahren angelernte Objektivität? Die berufliche Distanz?
Es war schon ein längerer Gewöhnungprozess.
Aber: nach einigen Monaten Herzblutbloggerei merke ich, dass auch meine Auftragsschreibe davon profitiert.
Weil Schreiben, auch objektives Schreiben, ohne einen eigenen klaren Standpunkt nicht geht.
Und unsere Leser merken und honorieren das.
Dieses Herumeiern um journalistische Objektivität kann ich nicht mehr hören und lesen: Es gibt ganz einfach nicht, was Friedrichs einst postulierte. Es ist ehrlicher, klar zu sagen, wofür man steht – was einem am Herzen liegt!
Von der Themenauswahl bis zur Wortverwendunge ist alles subjektiv und das darf es auch sein, weil alle Menschen subjektiv wahrnehmen und empfinden.