Du dachtest, Facebook dient nur zur Selbstdarstellung. Doch für Journalisten ist es sehr viel mehr…
26Vergesst mal den Markenblödsinn – und denkt an Eure journalistischen Inhalte und die Leser. Dann werdet Ihr sehen, warum (digitale) Journalisten heute zum „Social Native“ werden sollten.
Hilfe, er sagt, ich muss zur Marke werden“, jammern gerade viele junge Journalisten, denen ich vorgeworfen habe, als „Digital Natives“ keinen Schimmer von der professionellen Nutzung sozialer Medien zu haben. „Nein“, sage ich da. „Wenn Du Social Media als reine Selbstdarstellungssnummer verstehst, haben wir uns komplett missverstanden. Niemand muss zur Marke werden.“ Aber: Wer heute als Journalist publizistische Schlagkraft entwickeln möchte, sollte verstehen, wie soziale Netzwerke funktionieren.
Als ich Anfang der Neunziger Jahre beim Focus arbeitete, gab es für uns einen Maßstab für den Erfolg der Geschichte: wenn unsere Story es in die Tagesschau schaffte oder von anderen Medien zitiert wurde. Bis heute gilt das meist von Spiegel, Bild und Süddeutsche angeführte Zitate-Ranking von Media Tenor als Beweis für die Kompetenz, Wichtigkeit und Reichweite des jeweiligen Mediums. Das Kalkül: Wer oft zitiert wird, kommt in die Köpfe, ist ein Leitmedium – und wird am Ende vom Leser gekauft.
Natürlich war ich stolz, wenn eine meiner Recherchen in der Tagesschau erwähnt wurde und wäre das auch heute noch. Trotzdem ist das ziemlich Old School. Denn dieses Prinzip ist elitär, wird ausschließlich von Journalisten als sogenannte „Gatekeeper“ gesteuert – und schließt die wichtigste Gruppe aus: den Leser.
Doch Journalisten haben längst die alleinige Gatekeeper-Funktion verloren. Zunächst an Google. Und in den vergangenen Jahren zunehmend an die sozialen Medien, allen voran Facebook. Zum Zitate-Ranking haben sich Angebote wie Rivva und 10000Flies gesellt. Sie zeigen, welche Artikel in den sozialen Netzwerken geliked und geteilt werden. Und damit, welche Nachrichten der Leser als wichtig erachtet – oft andere als die elitären Journalisten…
Jeder Journalist darf stolz sein, wenn sein Artikel geteilt wird.Natürlich darf heute weiterhin jeder Journalist stolz sein, dessen Vorabmeldung von der dpa verbreitet, in der Tagesschau verlesen und vom Mannheimer Morgen, dem Buxtehuder Tageblatt oder der Süddeutschen zitiert wird. In Zeiten, in denen der Journalismus langsam digital wird und die Leser ins Netz abwandern, darf er oder sie aber genauso stolz sein, wenn ein Artikel 1.000, 2.000, 3.000 oder gar 100.000 Likes erhält und bei Rivva oder 10000Flies ganz oben steht. Dann hat er etwas geschafft, was seit jeher für jeden Journalisten mit zu den wichtigsten Aufgaben gehören sollte: sein Publikum erreicht und begeistert.Wer bei 10000Flies vorbei schaut, wird schnell merken, dass – trotz des aktuellen Einfalls von heftig.co – auch hier die klassischen Medien wie Bild.de und Spiegel Online gut dabei sind. Sie wissen offensichtlich: Eine hohe Zahl an Likes kann heute wichtiger sein als eine Nennung in der Tagesschau. Zumindest wenn die jeweilige Zielgruppe die Tagesschau gar nicht mehr kuckt.
Soziale Medien führen den Leser zum Artikel.„Social is our Frontpage“, sagen sie bei der Huffington Post. Zurecht. Denn nicht erst durch den viel diskutierten Innovation Report der New York Times haben wir erfahren, dass immer mehr Leser durch die sozialen Medien und Suchmaschinen direkt zu Artikeln geführt werden. Eine klassische Startseite, die meist eine Tageszeitung im Netz imitiert, verliert an Wichtigkeit.
Für Journalisten bedeutet dies, dass sie sich künftig nicht mehr mit den Kollegen aus anderen Ressorts um den knappen Platz auf der Startseite prügeln müssen. Stattdessen können sie sich zunehmend darauf konzentrieren, die besten Inhalte für ihre jeweiligen Teil-Zielgruppen (z.B. Wirtschafts-Interessierte) zusammen zu stellen – und diese so zu schreiben, dass sie in den sozialen Medien geteilt werden. Dazu gehört es neben einer echten Social-Media-Strategie des jeweiligen Mediums auch, die eigenen Werke selbst aktiv unter den privaten und beruflichen Followern zu teilen. Schon heute nutzen laut einer aktuellen BITKOM/ResponseSource-Studie 79 Prozent der hauptberuflichen Journalisten in Deutschland die sozialen Medien, um eigene Inhalte zu verbreiten. Auch eine andere aktuelle Studie von Cision belegt, dass ein Großteil der Journalisten die sozialen Medien als Recherche- und Verbreitungswerkzeug identifiziert hat – sie aber größtenteils eher passiv nutzt.
Das alles sollten die jungen Kollegen wissen, die mit einer „nativen“ Nutzung der sozialen Medien groß geworden sind – und mit einer erwarteten Lebensarbeitszeit von gut 50 Jahren definitiv digital arbeiten werden. Viele von ihnen vielleicht auch bei neuen Medien wie Vice, Huffington Post, Buzzfeed und Upworthy, die fast ausschließlich auf Social setzen, um ihre Leser zu finden. Und auch die „alten“ Medien werden nicht umhin kommen, auf die neuen Mechanismen zu setzen – und auf junge Kollegen, die wissen, welche Netzwerke angesagt und sind wie man sie „bespielt“.
Zielgruppen anzusprechen gehört zum journalistischen Handwerk.Übrigens ist das zielgruppengerechte Formulieren von Texten und Überschriften – insbesondere für den Titel – ein klassisches, journalistisches Handwerk. Jeder Print-Journalist, der möchte, dass sein Medium aus der Masse am Kiosk heraus sticht und gekauft wird, sollte es beherrschen.Diese „Verkaufe“ ist für mich eine Top-Disziplin des Blattmachens. Und nichts anderes machen wir im Netz: ein Blatt. Nur ohne Papier. Wo jede einzelne Seite zur Titelseite wird. Der Anspruch eines modernen (Digital-)Journalisten sollte sein, den Leser zu begeistern und ihm ein Like oder einen Tweet zu entlocken – aber mit hochwertigen journalistischen Inhalten und nicht nur mit lustigen Katzen-Gifs und Viral-Headlines im heftigen Clickbaiting-Stil.
Welchen Kanal nutze ich für meine Zielgruppe?Wichtig für jeden, der diesen Gedankengängen folgen möchte, sollte auch eine professionelle Auseinandersetzung damit sein, über welche digitalen Kanäle und sozialen Netzwerke man seine jeweilige Zielgruppe erreicht. Facebook könnte ausgerechnet bei den eigenen Lesern schon längst out sein, so wie es heute MySpace und Second Life im großen und ganzen sind. Außerdem sollte man sich auch nicht zum Sklaven eines bestimmten Netzwerkes machen, so wie viele Betreiber von Facebook-Fanseites, die nun teuer dafür zahlen müssen, gesehen zu werden.Vielleicht ist ja Whatsapp der neue heiße Scheiß. Denn wie ich gerade auf der mobilen Webseite der Huffington Post gesehen habe, lassen sich auch darüber journalistische Inhalte teilen. Aber wie muss ein Inhalt aussehen, der auf Whatsapp teilbar ist? Vielleicht kann es mir ein junger Kollege sagen…
Ich würde jetzt übrigens nicht aufhören, Vorabmeldungen für die Tagesschau und andere Medien zu liefern. Denn natürlich erreicht man auf diese Art und Weise weiterhin viele weitere potentielle Leser. Nur eben andere. Meine Mutter zum Beispiel.
Wer aber begreift, dass die direkte Ansprache des Lesers und die professionelle Auseinandersetzung mit seinen Lesegewohnheiten und Erwartungen schon immer zum journalistischen Handwerk gehört haben, wird schnell erkennen, welch fantastisches Werkzeug ein soziales Netzwerk sein kann. Aber es soll ja noch Journalisten geben, die ausschließlich für sich selbst schreiben und nicht den geringsten Schimmer haben, wer eigentlich ihre Leser sind und auf welchen Kanälen sie erreicht werden…
P.S. Die anderen „Benefits“ von Social Media wie Vernetzung, Information, Kommunikation und eben die Markenbildung habe ich diesmal ganz bewusst ausgelassen.
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Hallo Karsten,
wie immer sehr kluge Worte von dir!
Was ich mich z. B. aber schon lange frage: Wie kommt man eigentlich in den Rivva-Pool? Ihr seid da ja ziemlich schnell reingerutscht, wir (weltenschummler.com) dagegen warten seit fast 2 Jahren immernoch auf diese „Segnung“…
Wie auch immer, ich stimme dir zu und schätze die Bedeutung der sozialen Medien ebenso hoch ein. Allerdings muss ich sagen, dass es auch ein hartes Stück Arbeit ist, sich zu etablieren. Insbesondere bei Twitter sehe ich eine Art Sättigung, die es kleinen und/oder jungen Accounts nahezu unmöglich macht, zu den „Großen“ aufzuschließen. Und dann eben noch die angesprochene Sache mit den Aggregatoren, die auch nur die ewig gleiche Filter-Bubble abgrasen…
Hallo Marvin,
vielen Dank für die Blumen. Wie wir bei Rivva reingerutscht sind, kann ich Dir leider nicht sagen – das war einfach eines Tages so… ;-) Und ja, es ist sehr harte Arbeit. Aber genau deshalb ist ja die professionelle Beschäftigung damit so wichtig für mich.
Nicht vergessen, liebe Super Digital Native-Journalisten: Das Wichtigste dabei ist es, die ganze Zeit im Internet darüber schreiben, wie wichtig das Internet ist! Das zieht seit Jahren!
@Sebastian:
Das Internet ist so wichtig wie Telefon und Klo-Papier. Und so lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, muss man schreiben „wie toll das Internet ist“. Gerade wenn man im Online-Journalismus unterwegs ist, bietet des Internet unzählige Chance und Möglichkeiten. Und diese sollte man erwähnen.
Beste Grüße
Das hier ist sehr interessant, aber ich würde es, wenn es keine PR-Nummer sein soll, doch mit einige Fragen versehen:
1. Wie kommen Sie darauf, daß Zeitungsleser umgestiegen sind auf Facebook?
2. Wie lebt man von Likes, wenn man nicht in der PR tätig ist und dies nebenbei macht?
3. Was ist heute ein Journalist, ein Medienmanager, der zum liken schreibt?
Damit aber nicht genug. Erfolg ist heute ja keine Frage von Können mehr sondern von Kontakten. Ich erlebe seit einiger Zeit, daß die bekannten Medien so gut wie keine sachkompetenten Menschen einstellen sondern nur noch Journalistenschulenabsolventen, also reine Medienmanagementtrainierte.
Der Satz: „Das alles sollten die jungen Kollegen wissen, die mit einer “nativen” Nutzung der sozialen Medien groß geworden sind – und mit einer erwarteten Lebensarbeitszeit von gut 50 Jahren definitiv digital arbeiten werden.“
ist ebenso falsch wie gefällig. Bei der heutigen Situation können junge Journalisten gar nicht 50 Jahre so arbeiten, es sein denn die Arbeit ist umsonst. Soll ich das so verstehen, daß man in eine PR-Agentur geht und dann von dort aus als Journalist arbeitet, quasi als zweites Standbein?
Hallo Mike,
die Fragen möchte ich gerne beantworten.
1. Das Zeitungsleser auf Facebook umgestiegen sein sollen, habe ich nicht geschrieben. Tatsächlich aber verlieren klassische Printmedien kontinuierlich an Auflage, aber sicher nicht (nur) wegen Facebook. Gleichzeitig hat Facebook allein in Deutschland aktuell rund 25 Millionen Mitglieder. Das macht das Netzwerk für jeden interessant, der eine große Gruppe von Menschen erreichen möchte. Besonders der virale Effekt ist für jedes Medium wichtig (das Like sehen ja viele Freunde des Klickenden).
2. Mit Likes verdient man auf direkte Weise kein Geld. Aber mit dem sogenannten „Traffic“, also den Besucherzahlen auf seiner Webseite – dort werden die Besucherzahlen entweder durch Werbung, Transaktionsmodelle oder Paid-Content-Ansätze „monetarisiert“. Soziale Netzwerke sind wie beschrieben, neben Suchmaschinen und direkter Adress-Eingabe die wichtigsten Traffic-Lieferanten für journalistische Webseiten. Jedes Like bedeutet potenziell viele neue Leser.
3. Ein Journalist.
Zu den anderen Anmerkungen:
Die Journalistenschulabsolventen, die ich kenne, zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie Journalismus von ganzem Herzen lieben und leben. Egal ob an der DJS, der Henri Nannen Schule und der Axel Springer Akademie – hier werden wirklich gute Journalisten und keine Manager ausgebildet. Allein sich bei dem aufwendigen Auswahlprozess durchzusetzen ist schon eine Leistung und beweist sehr viel Talent. Auch in einem Volontariat lernt man in aller Regel guten Journalismus.
Zur Lebensarbeitszeit:
Das ist ebenfalls ein Fakt. Wer heute Anfang 20 ist, wird etwa 50 Jahre arbeiten müssen – egal ob Journalist, Ingenieur oder Busfahrer. Schon jetzt ist absehbar, dass ein gesetzliches Renteneintrittsalter von 67 Jahren nicht zu halten ist. Und auch wenn es dem Berufstand aktuell schlecht geht, wird es dennoch weiterhin fest angestellte Redakteure geben, die bis zur Rente arbeiten werden und nicht zusätzlich in die PR gehen müssen.
Dass unsere Kollegen zunehmend im digitalen Journalismus arbeiten werden – auch wenn Print noch lange leben wird – gilt angesichts der zunehmenden Digitalisierung, der technologischen und ökonomischen Entwicklung sowie der sich ändernden Lesegewohnheiten ebenfalls als sicher.
Laber…Fasel…recht behalt…
Mima (nicht Mike!) hat doch recht (siehe unten – oder oben? Bin mal gespannt, wo das jetzt trotz eindeutig positionierten Antworten-Buttons wieder landet)! Aber wenn man sich selbst soooo wichtig nimmt, kann man andere Auffassungen kaum an sich ranlassen…
Ich lasse dem lieben Mike seine Meinung und nehme die auch gerne zur Kenntnis, keine Angst. Aber ich darf doch auch meine behalten und seine Fragen beantworten? Wenn man übrigens dem Link zu Mimas Webseite folgt und dort unter „About“ nachsieht, erfährt man, dass er Mike heißt ;-)
Super – Danke! Sprichst mir aus der Seele! Ich kann dieses ganze Geschwurbel eh schon nicht mehr ertragen.
Es belebt überdies etwas neu, dass schon vor 20 Jahren im Journalismus als ein ziemliches „geht gar nicht mehr“ erkannt wurde: einen latenten „Oberlehrer-Nimbus“. Schlicht zum Kotzen!
[…] Karsten Lohmeyer schreibt: […]
Das soziale Medien eine immense Aufwertung bekommen ist nachvollziehbar.
Was ist also dran am *heissen Scheiß*?
Letztlich geht es hauptsächlich darum, dass ein ‚Medium‘ (Internet) sich zum ‚Marktplatz‘ (Verkaufsraum) eines jeden (!) Unternehmen mit Webauftritt gemausert hat.
Im Vorbeigehen wurden die sogenannten ’sozialen‘ Netzwerke mitgenommen, nachdem die Mittel entwickelt wurden sie als Datenquelle für Personengerechtes / Gruppengerechtes / Länder Gerechtes Product Placement./ Advertising / Marktumfragen zu nutzen. Einfache Feedbackschleifen wie ein ‚Like‘ oder ‚Dislike‘ reichen schon, den Rest arbeiten sehr clevere Algorithmen aus, Globales Business…
Das Zauberwort hierzu heißt ‚Big Data‘, die Vernetzung von Datenmassen und Usern in unglaublichen Größenordnungen, egal an welcher Stelle es im Internet gepostet wird. Der ‚User‘ bekommt 1:1 wie bei Amazon ein Userprofil – Vorlieben, Abneigungen, Produkte die zitiert, gekauft, gelobt werden und vice versa, Texterkennung sei Dank, egal an welcher Stelle im Internet das gepostet wird. Die Zielsetzung ist ausschliesslich ‚Product Placement‘ ‚Product Improvement‘ ‚User Preferences‘ basierend auf Milliarden individueller Profil im Web, die Berechtigung / Begründung dazu ‚man möchte näher am Kunden sein‘.
Die Beziehungen werden damit, vorsichtig ausgedrückt, deutlich ‚intimer‘, jeder Schritt eines users ‚vorhersehbarer’…und falls einer ausbricht, wird er wieder eingefangen – very sophisticated…
Man möge sich einmal die Produktbeschreibung von ‚SeeWhy‘ ansehen…http://seewhy.com/
Der ‚Consumer‘ – ist das unsere ideale Vorstellung? Angebot und Nachfrage, survive of the fittest, Darwinismus im Internet pur?
Das Journalisten diesem Reiz in ihrem Marktsegment ebenfalls verfallen können, ist nachvollziehbar, die Macht, als Individuum im Netz Millionen oder Milliarden erreichen zu können und das zählen zu können (!) und zu wissen wie man ankommt (!) ist Hammergeil, Rattenscharf, holt mich hier raus ich bin ein Star….muss jeder für sich selber entscheiden, aber dann bitte auch wissen, was man tut, wenn die Qualität des Journalismus am ‚Realtime-Feedback‘ gemessen wird…Millionen User können nicht irren? Ick wär da mal janz vorsichtich mit einer Bewertung – Kommentieren finde ich aber selber obergeil :-)
Lieben Gruß, Uwe
[…] […]
Der Oberlehrer-Ton fällt in diesem Post immerhin gemäßigter aus als in dem über die nicht ausreichend durchdigitalisierten Jungjournalisten. Trotzdem bin ich erstaunt, wie pauschal hier teilweise argumentiert wird. Es geht aus den Beiträgen leider nicht hervor, ob Sie mit besagten Jungjournalisten über dieses Thema gesprochen und sie gefragt haben, WARUM sie nicht ausgiebiger mit sozialen Medien arbeiten. Die Antworten würden mich interessieren. Auf jeden Fall möchte ich mich Simon Hurtz anschließen: Dogmen sind wirklich doof.
Ich gehe davon aus, dass Sie mit Jungjournalisten die Kolleginnen und Kollegen meinen, die in der Ausbildung sind (wie die von Ihnen erwähnten Studies an der Uni Passau) oder gerade anfangen, Vollzeit zu arbeiten. Es geht also um Leute, die zwischen 18 und 23 Jahre alt sind.
Ich leite eine der Lehrredaktionen am Institut für Journalistik der TU Dortmund, wo genau diese Altersgruppe unterwegs ist: Eine Vielfalt von Persönlichkeiten mit verschiedenen Stärken und Interessen, denen ständig gesagt wird was sie alles lernen sollen und müssen und die dafür verdammt wenig Zeit haben – dafür aber die Aussicht, bald verdammt wenig Geld zu verdienen. Trotzdem legen viele von ihnen beeindruckende kreative Energien an den Tag und arbeiten hart an sich und ihren journalistischen Kompetenzen.
Klar, dass wir und sie Prioritäten setzen müssen. Ist es nicht okay, wenn sie erstmal Grundlagen lernen, zum Beispiel Recherche, Interviews, Kommentare, wenn Sie Ihr kritisches Denken schulen, dann ein zweites Medium lernen und dann vielleicht noch ein drittes? Das dauert! Und ist es nicht okay wenn die, die dann noch immer keinen Anlass für intensive Social-Media-Aktivitäten sehen, das erstmal lassen bis es ihnen etwas bringt? DAS können sie dann immer noch lernen – das Erlernen journalistischer Grundlagen auf später zu verschieben scheint mir eine eher problematische Strategie. Und die, die auf soziale Medien stehen oder sie beruflich brauchen können: Prima, die machen das dann eben auch noch.
Viele unserer Absolventen wissen, was eine Social-Media-Strategie ist und wie ihnen soziale Medien nützlich sein können. Trotzdem werden einige, vielleicht sogar viele, diese Medien eher passiv nutzen. Warum? Unter anderem weil Social-Media-Kompetenzen nicht in allen Volontariaten abgefragt werden. Und weil manche Studenten oder Absolventen dort, wo sie frei oder angestellt arbeiten, damit erstmal kein Geld verdienen können. Was etwas damit zu tun hat, dass viele dieser Medien noch vorrangig für die hier erwähnte „Mutter“ produzieren – oder sogar für Oma und Opa. Vielleicht irgendwie doof und peinlich, aber einige dieser Redaktionen (zum Beispiel der öffentlich-rechtliche Rundfunk) zahlen wenigstens noch was.
Während sich die Medienlandschaft wandelt werden sich in den nächsten Jahren auch die jüngeren Kollegen anpassen und weiterbilden – und einige wahrscheinlich mehr mit Social Media machen. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das jetzt schon?
Sollen denn alle Nachwuchsjournalisten mit spätestens 25 perfekt in eine bestimmte Schablone passen? Hey, die sind JUNG! Lasst sie doch mal machen! Vielleicht möchten sich einige ja auch ganz bewusst distanzieren von dem, was die Masse treibt. Ist es nicht sympathisch, wenn sich 20jährige mit Datensicherheit beschäftigen und ihre Präsenz im Netz erstmal auf ein Minimum reduzieren? Ist mir jedenfalls lieber als Journalisten egal welchen Alters, die unreflektiert jede Netz-Mode mitmachen.
Kann sein, dass sich manche Jungjournalisten um ihre Zielgruppen noch nicht genug Gedanken machen. Weil sie als Freie in der Lokalredaktion mit 20 Euro Pauschale pro Text wenig Einfluss und auch wenig Lust haben – oder weil sie mit ihrer Bachelor-Arbeit beschäftigt sind oder der ersten großen Reportage. Trotzdem tüftelt der ein oder andere vielleicht in ein oder zwei Jahren eine brillante Social-Media-Strategie aus. Andere werden Facebook nie beruflich nutzen. Na und? Das heißt doch noch lange nicht, „das sie für sich selbst schreiben“ oder sich keine Gedanken über ihre Leser/Hörer/Zuschauer machen. Die sind in Bewegung, die sind noch nicht „fertig“, und das ist doch gut so!
Innovative Projekte von Jungjournalisten sind wirklich nicht so rar, dass man die in ihrer Gesamtheit für dösig halten müsste. Und die unter uns, die sich nicht mehr als Nachwuchs begreifen können die jungen Kolleginnen und Kollegen doch fördern und beraten. Aber bitte nicht bevormunden oder meckern – das ist kontraproduktiv und mindestens so doof wie Dogmen!
Liebe Sigrun Rottmann,
herzlichen Dank für diesen Kommentar, den ich übrigens so auch gerne als eigenen Gastbeitrag veröffentlicht hätte. Denn auch wenn mir – in einigen Teilen sicher zurecht – Dogmatismus vorgeworfen wird, freue ich mich über einen regen Gedankenaustausch und andere Sichtweisen.
Allerdings sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt. Denn auch ich bin der Meinung, dass jeder angehende Journalist zunächst das grundlegende Handwerkszeug unseres Berufs lernen sollte – und vor allem kritisches Denken. Auch wenn aus meinem Beitrag ja hervorgeht, dass ich einen intensiven Umgang mit Social Media für ein weiteres, neues Handwerkszeug für viele (nicht alle) Journalisten halte.
Ich spreche übrigens regelmäßig mit Jungjournalisten über das Thema, und zwar sehr gerne. Erst am Freitag saß ich mit den Studentinnen und Studenten in Passau zusammen und habe lange diskutiert. Das Ergebnis war dieser neue Blogpost. Denn ich hatte den Eindruck, dass viele meiner Gesprächspartner noch nicht begriffen haben, warum Social Media ein so wichtiges Werkzeuge sein kann – Betonung auf dem Wort“kann“ und nicht „muss“. Mein Anliegen ist es nicht, dass das jeder sofort umsetzte. Aber darüber nachzudenken schadet nicht, besonders, wenn man sich auf professioneller Ebene mit Journalismus beschäftigt.
Warum einiges pauschal ist? Ganz einfach: Das sind Blogbeiträge, die spitz ein Thema behandeln und zwar ausschließlich aus meiner persönlichen Sicht, und kein allumfassendes Journalismus-Lehrbuch. Vielleicht schreibe ich beim nächsten Mal, wie sehr es mich nervt, dass ausgewachsene Journalisten mit langjähriger Berufserfahrung verlernt haben, das Telefon zu benutzen und stattdessen lieber die Wikipedia abschreiben. Auch das eine sehr persönliche Erfahrung, die mich den Kopf schütteln lässt – und zwar deutlich mehr als die fehlende Nutzung von sozialen Medien.
Bei allem erwarte ich tatsächlich nur eines: Eine rege Diskussion, bei der jeder seine Argumente loswerden kann und wir alle uns ein bisschen weiterbilden können. Denn ja, Simon Hurtz hat Recht: Dogmen sind doof. Immer.
Tatsächlich: Wir kommen uns näher! Ja, die Praktiken manch „ausgewachsener“ Kollegen muten merkwürdig an. Von der Sorte gab es schon immer welche, was die Sache allerdings auch nicht besser macht. Danke für die freundliche Replik – und natürlich finde ich es wunderbar, dass Sie solche Diskussionen anstoßen.
:-)))
[…] um nicht neugierig zu werden, aber soviel wegließen, dass man geradezu klicken musste – “Social is our frontpage”, sagte schon die Huffington Post, und bei Seiten wie heftig.co gilt das umso mehr: Der […]
[…] […]
Hallo, Dein treffender Text passt auch zu meinem Interview von gestern auf business-on.de „Journalistischer Nachwuchs“. Angela, freie Journalistin
[…] Medien die Überschriften-Art adaptieren oder zumindest damit experimentieren. 11 Freunde, ZDF, lousypennies – Die Experimentierfreude ist da und es werden verschiedenste Abwandlungen versucht – allen […]
[…] Medien die Überschriften-Art adaptieren oder zumindest damit experimentieren. 11 Freunde, ZDF, lousypennies – Die Experimentierfreude ist da und es werden verschiedenste Abwandlungen versucht – allen […]
Wieso müssen „Betreiber von Facebook-Fanseites […] teuer dafür zahlen“? Ich habe so eine Seite. Die ist kostenlos.
Die Seite selbst ist kostenlos – die Reichweite leider nicht (mehr). FB hat da kürzlich extrem am Algorithmus rumgeschraubt, was bedeutet, dass Posts meistens nur noch von einem Buchteil der Fans gesehen werden. Will man, dass der Post von allen Fans gesehen wird, dann muss man zahlen…
Hallo, eine kleine aber wichtige Anmerkung zu der Grafik „Home Page Visitors“: So darf sie nicht dargestellt werden. Sie muss bei Null enden und nicht bei 60 (80 auf der Skala). So unterstellt die Grafik auf den ersten Blick einen Abfall der Zahlen auf Null (was ja falsch ist), und auch auf den zweiten Blick zeigt sie ein viel stärkeres Sinken der Zahlen als eine korrekte Grafik, die bis Null geht und den ganzen „Raum“ unter dem Strich, der ja relevant ist und dazu gehört, eben noch zeigt. „Abschneiden“ von Graphen dieser Art verzerrt die Relationen mitunter extrem.
Grüße
Hallo Nils, danke für den wertvollen Hinweis – das ist die offizielle Grafik der New York Times.