Das Ringen um die journalistische Identität
3Die Geschichte zeigt: Wo Identität fehlt, herrscht oft Stillstand statt des nötigen Fortschritts. Kann uns Journalisten diese Erkenntnis nutzen?
Dass wir Journalisten um eine Identität ringen, blitzt derzeit in so vielen Diskussionen im Internet auf. Die Frage, ob das noch Journalismus sei. Die verzweifelte Trennung zwischen Blogger und Online-Journalisten. Das Hinterfragen, ob Greenwald ethisch handle. Journalistische Standards, die einige zwar vor sich hertragen, denen aber viele von uns nicht folgen – oder folgen können, etwa weil der Verlag den Erlös vor den Ethos stellt.
All das scheint ein Ringen um den Erhalt einer Identität, die längst aufgeweicht wurde.
Ein Blick in die Vergangenheit: Wie Identität zerfällt
Jüngst habe ich zum Thema Highland Clearances recherchiert. In dieser Periode Schottlands zerbrach das alte Clansystem am Kapitalismus. Das Clansystem basierte bis dahin auf festen Werten wie Treue und gegenseitiger Verantwortung. Der Häuptling kümmerte sich um seine Clansleute, die unterstützten ihn dafür mit Essen und Soldaten. Beiden war bewusst, dass sie nicht ohne einander konnten.
Dann brachen ab dem 18. Jahrhundert die industrielle Revolution und der Kapitalismus über die Highlands hinein. Die Häuptlinge reagierten, warfen kurzerhand die alten gemeinsamen Werte über Bord und pfiffen auf die Verantwortung gegenüber den Clans-Mitgliedern. Die Gesellschaft zerfiel in Großgrundbesitzer und eine neue Unterschicht an gegängelten Bauern, die sich von ihren ehemaligen Beschützern so ziemlich alles gefallen ließ.
Ich wollte immer wissen: Warum ist niemand von diesen Bauern aufgestanden, um seine Zukunft besser zu gestalten?
Die Antwort gab mir Autor James Hunter in seinem Buch “Last of the Free”: Mit der Krise zerbrach die Identität der Highland-Bewohner, sie waren verraten von ihrer ehemaligen Herrscherriege, die sie nun ausbeutete. Ihre Kultur und Werte waren nutzlos geworden.
Dennoch: Sie hingen an diesen alten Werten, hielten die Treue zu denen, die sie längst verraten hatten. Hielten fest an der Hoffnung, dass alles eines Tages wieder werden würde, wie es einst war. Sie verharrten.
Die Situation besserte sich erst, als von Irland her die Idee des Widerstands mit einer Renaissance der gälischen Kultur vereint und über eine Zeitung in den Highlands verbreitet wurde. Es folgten Aufstände gegen die Landbesitzer, Aufruhr, Rebellion. Man hatte endlich begriffen, dass die einstigen Herrscher nichts mehr mit der eigenen Identität zu tun hatten, man nahm eine neue an.
Wenig später war die Ausbeutung Geschichte.
Ein Blick in die Zukunft: Können wir eine neue Identität finden?
Warum erzähle ich das? Mir scheinen hier einige Parallelen zur Situation heutiger Journalisten und Textschaffender. Sieht man sich die Entwicklung bei Springer an oder hört den Aussagen von Hubert Burda genau zu, ist das verlegerische System, das uns Journalisten einst Schutz und Sicherheit bescherte, längst einseitig gekündigt worden.
Heute bemühen sich „Online-Producer“ darum, dass sie zurecht die selbe Bezahlung erhalten wie Printkollegen. Total-Buyout-Verträge bei Freiberuflern sind normal. Die Preise für einen Online-Artikel? 100 Euro für 5.000 Zeichen, bitte sehr. Und die Textaufträge kommen immer seltener von Verlagen, immer häufiger von Firmen, die natürlich ihre Produkte und Dienste im guten Licht erscheinen lassen wollen.
Viele „freigesetzte“ Print-Kollegen müssen sich in einer Online-Welt zurechtfinden, in der sie auf arrivierte Blogger treffen, die manchmal Geld verdienen, manchmal aber auch nur aus Spaß schreiben – in allen Qualitätsstufen und nach keinem festgelegten Standard. Wo der Leser ständig mitredet und eine Meinungshoheit nicht mehr automatisch bei einer Berufsgruppe liegt.
Doch statt dass sich Textschaffende vereinen, verliert man sich in Grabenkämpfen: Hoodiejournos gegen Blogger gegen Printler. Betrachtet man die Situation nüchtern, sind die meisten einfach schlecht bezahlte Textschaffende. Schlecht bezahlt, weil sie keine gemeinsame Lobby erschaffen, die sie gegenüber den Verlagen und Firmen vertritt. Und zwar alle Schreiber, so dass es keine Dumping-Ausweichmöglichkeit mehr gibt.
Es gäbe so viele Themen, die wir mit einer gemeinsame Identität anpacken könnten.
Um das zu erreichen, würde ich mir wünschen, wir würden nicht zu sehr an der alten Identität kleben und sie stattdessen deutlich erweitern. Ein Ende der unsinnigen Grabenkämpfe, die keinem nutzen, eine Gemeinsamkeit einer schlagkräftigen Masse an Textschaffenden.
Vermutlich eine Utopie.
[…] Stephan Goldmann beschreibt die Schwierigkeiten des heutigen Reporters recht anschaulich in seinem Beitrag Das Ringen um die journalistische Identität. […]
Journalistische Identität entsteht durch die Bindung an Werte. Wir sollten Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen „Textschaffenden“ im Blick behalten, Synergien nutzen und Streit um die ohnehin sinkenden Ressourcen der Redaktionen vermeiden.
Welches berufliche Selbstverständnis bietet sich zur Herausbildung journalistischer Identität an?
Sind Journalisten heute in erster Linie „Dienstleister“, die ein hochwertiges Werbeumfeld schaffen – und Schluss? Oder ist eine Rückbesinnung auf die gesellschaftliche „Kritik- und Kontrollfunktion“ der Medien zielführend, um als Journalist ein publizistisches Profil aufzubauen?
Es geht beides! Ob als Blogger, Journalist, Texter – oder was sich sonst alles unter dem Begriff „Publisher“ zusammenfassen lässt: Besetzen Sie Themen, werden Sie zur Marke. Und Ihr Publikum wird Sie finden.
Hier ist (m)ein Beispiel: http://pressefreiheit-in-deutschland.de/
Nach 3 Tagen lediglich zwei Kommentare. Und das im Windschatten der re:publica, die wohl aber auch ein latentes Identitätsproblem hat. Ich erinnere mich an über 50 Kommentare beim „Dschungelcamp der Rechtschreibung“.
Bin kein Blogger oder Journalist, lese aber viel und beschäftige mich mit dem Thema, also Eurem Thema. Insbesondere weil ich, wie so viele andere Leser auch, unzufrieden bin mit dem Journalismus und dem Netz.
Will an dieser Stelle nicht böse klingen, aber ein Gedanke sei dann aber doch erlaubt, liegt das Problem am Ende vielleich auch an Euch selbst? Keine Debatte ist auch ein Standpunkt ;-)