Die 7 Tibeter für jeden modernen Journalisten
14Schluss mit dem Jammern, seid selbstbewusst und blickt nach vorne. Das rate ich jedem Journalisten, mit dem ich mich zur Zeit unterhalte. Und das sind viele.
Tageszeitungen werden eingestellt oder entkernt. Verlage trennen sich vom einstigen Print-Tafelsilber. Hunderte von Journalisten stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Tausende müssen sich fragen, wie es die nächsten Jahre und Jahrzehnte beruflich für sie weitergeht – oder in journalistischen Legebatterien für einen Hungerlohn auspressen lassen.
All das sind die Auswirkung des „digitalen Tsunami“, den unser Gastautor Nicolas Clasen hier beschreibt. Doch anders als zum Beispiel die längst zum Umschulen gezwungenen Setzer und Metteure haben wir Journalisten auf lange Sicht mehr Anlass zur Hoffnung als zur Klage. Dafür sorgt der gleiche Faktor, auf den der Niedergang unserer bisherigen Journalisten-Welt zurückzuführen ist: das Internet.
Es birgt zumindest die Chance in sich, dass wir weiterhin in einem der schönsten und aufregendsten Berufe der Welt tätig sein können, auch wenn wir gerade erst beginnen zu begreifen, welche Möglichkeiten uns die Digitalisierung in den nächsten Jahren bringen wird. „Schluss mit dem Jammern“, sollte sich also gerade jetzt jeder Journalist sagen – und sich sieben kurze Fakten immer wieder ins Gedächtnis rufen, die ich hier aufgeschrieben habe.
Ich nenne sie in Anlehnung an die 5 Tibeter mal frech die „7 Tibeter für jeden modernen Journalisten“.
1. Guter Journalismus bleibt guter Journalismus. Unabhängig vom verwendeten Medium.
Gute Recherche, journalistische Distanz und eine Top-Schreibe sind für Journalisten heute wichtiger denn je. Denn “alles andere ist nur Geschwätz” (frei nach FAZ-Herausgeber Werner D’Inka).Unsere Aufgabe als Journalisten im Internet ist klar: Wir müssen uns mit journalistischer Qualität von dieser durch SEO-Spezialisten, Möchtegern-Journalisten und talentlosen Hobby-Schreibern verursachten Geschwätz-Lawine absetzen – und uns gleichzeitig dem Wettbewerb mit den vielen guten Schreibern da draußen stellen, die vielleicht gar keine journalistische Ausbildung haben.
Wenn wir das nicht schaffen, haben wir die Berufsbezeichnung Journalist nicht verdient.
Das gleiche gilt auch für Fotografen, die sich dem Wettbewerb mit Massen-Fabrikanten, Hobby-Fotografen und Quereinsteigern wie zum Beispiel Peter Atkins stellen und ihren eigenen Weg damit umzugehen, finden müssen.
2. Der Journalismus ist nicht in der Krise. Die Monetarisierung des Journalismus ist in der Krise.
“Es ist die geilste Zeit, um Journalist zu werden”, schrieb Daniel Drepper vor einiger Zeit – und ich kann das gar nicht oft genug zitieren.Das heutige Internet (und übrigens auch so manche Print-/TV-/Radio-Nische) bietet für engagierte und motivierte Journalisten unendlich viele Möglichkeiten, sich journalistisch zu verwirklichen, sich auszuprobieren, neue Arten der Berichterstattung zu entwickeln – und dabei Lousy Pennies zu verdienen.
Tatsächlich bleibt allein die Frage: Auf welche Weise verdient man genug Lousy Pennies, um sich und seine Familie dauerhaft zu ernähren?
Und jeder Journalist sollte sich außerdem fragen, ob er das im „sicheren“ Schoß eines Verlages oder als Einzelkämpfer tun möchte.
Einige Kollegen wie zum Beispiel Martin Goldmann und Florian Treiß haben es bereits geschafft.
3. Blogs, Twitter und Facebook gehören zum journalistischen Handwerkszeug.
Jeder einzelne Journalist, den ich kenne, nutzt heute Wikipedia und Google als Recherchewerkzeuge. Genauso selbstverständlich setzen viele auf Twitter, Facebook und weitere soziale Kanäle als ergänzende Quellen.Social Media wird aber auch zunehmend zum wichtigsten Informationskanal für unsere Leser.
Unsere Aufgabe: Das Geschwätz zu filtern, die wirklich wichtigen Inhalte zu kuratieren und die tollen Stories zu erkennen.
Ich bin außerdem der Meinung:
Nur wenn wir selbst aktiv bloggen, twittern und auf Facebook aktiv sind, verstehen wir die neuen Medien in ihrer ganzen Tiefe – und können selbst mit eigenen Stories „Agenda Setting“ betreiben.
Nur dann sind wir als Journalisten zukunftsfähig.
Wie man als Journalist twittern sollte, habe ich hier aufgeschrieben.
4. Moderne Journalisten müssen sich selbst oder ihr Projekt als Marke positionieren.
Die Definition eines Journalisten setzt die Verbreitung der durch ihn produzierten Inhalte durch ein Massenmedium voraus. Das Internet ist ein Massenmedium – aber nur in die Theorie. Erst wenn eine gewisse kritische Masse die Inhalte des Journalisten auch findet und rezipiert, wird er vom reinen Veröffentlicher zum Journalisten.Wenn ein Journalist also auf seiner eigenen Seite veröffentlicht, sollte er sich entweder als er selbst oder als sein Projekt positionieren. Allein auf Suchtraffic von Google zu warten, reicht für einen guten Journalisten nicht. Er muss in seinem Themenbereich zur Marke und Instanz für Leser, potenzielle Auftraggeber und natürlich auch den Traffic-Bringer Google werden.
Das geht mit Hilfe guter, journalistischer Inhalte – und zahlreichen sozialen Werkzeugen, die das Internet zur Verfügung stellt. Wie Journalisten zur Marke werden können, habe ich hier beschrieben.
Und auch wenn Du bei einem Verlag arbeitest: Dich persönlich als Marke zu positionieren, wird für Deinen weiteren Berufsweg immer wichtiger. Es wird Dir helfen, auch nach diesem Job noch mehr als Lousy Pennies zu verdienen. Jobs – ob fest oder frei – werden in Zukunft vor allem nach einem Kriterium vergeben werden: Wie viele Leser bringt der Journalist in Form seiner persönlichen Follower auf Twitter, Facebook oder anderen Kanälen mit?
By the way: Folge uns doch bitte auf Facebook und Twitter ;-)
5. Wenn Du ein Thema hast, das Menschen bewegt, wirst Du erfolgreich sein.
Das Internet bietet exakt so viele Möglichkeiten zu scheitern, wie erfolgreich zu sein. Vermutlich sind die Möglichkeiten des Scheiterns sogar in der Überzahl. Aber: Wer es schafft, seine persönliche Zielgruppe mit seinen journalistischen Inhalten zu erreichen und begeistern, der wird erfolgreich sein.Das heißt, dass vor allem eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Thema helfen kann. Das hat zum Beispiel Franz Neumeier gezeigt. Der langjährige Chefredakteur von Technik-Magazinen hat sein Hobby Kreuzfahrten zum Beruf gemacht.
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen:
Je mehr Spaß ein Thema macht, umso engagierter und besser wird man es auch im Internet betreiben – und so manchen Tag die berühmte Extrameile gehen, die nötig ist, um zum Beispiel noch neben einem Fulltime-Job eine Webseite aufzubauen.
Um aber die Menschen tatsächlich zu erreichen, muss man sich auch als Journalist intensiv mit den Themen Suchmaschinen-Optimierung und Reichweitenaufbau durch soziale Medien beschäftigen.
6. Moderne Journalisten müssen unternehmerisch denken.
So traurig es auch ist: Letztendlich läuft alles darauf hinaus, die Lousy Pennies zu verdienen. Deshalb muss sich jeder Journalist damit auseinander setzen, wie er seine Arbeit finanziert. Das kann natürlich in den Armen einen Verlages sein. Zumindest bis zur nächsten Freisetzungsrunde…Dennoch sollte jeder einen Plan B haben, eine Exit Strategy – und sich jeder freie Journalist bewusst sein, dass das klassische Modell „Journalist bietet Texte an bzw. wird vom Verlag beauftragt“ nicht mehr zu 100 Prozent trägt.
Erfolgreich sein heißt deshalb für Journalisten auch, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln, mit dessen Hilfe man seine journalistische Arbeit monetisieren kann – und bereit sein, auch mal außergewöhnliche Wege wie zum Beispiel die neuartige Monetarisierungsform von Golem.de zu gehen.
Diese neuen Wege sind das Kernthema dieser Seite.
7. Journalisten müssen im Internet tätig werden. Jetzt. Sofort.
Nein, auch morgen ist es nicht zu spät. Aber jetzt ist nicht die Zeit zum Zögern und Zaudern. Ein Scheitern gibt es nicht. Nur ein Ausprobieren und einen großartigen Lernprozess.Jetzt ist die Zeit, um die Grundlage für Euren künftigen Erfolg zu schaffen. Mit einem kleinen Blog nebenher, einem Twitter-Account oder einem anderen Angebot, das Euch und Eure journalistische Arbeit darstellt.
Zeigt was Ihr könnt, begeistert die Menschen und schafft Euch Eure persönliche Leserschaft.
Und ja, Eure journalistische Zukunft kann natürlich auch weiterhin innerhalb eines Verlages liegen, keine Frage. Journalisten werden sicher auch in Zukunft gebraucht. Aber zunehmend solche, die sich auch im Internet bewegen wie ein Fisch im Wasser – und nicht nur solche, die Wikipedia-Artikel abschreiben und ein paar Suchworte in Google eintippen können.
Ich habe keine Ahnung, wie die Zukunft für die Tausenden von Journalisten in Deutschland aussehen wird, die vom digitalen Strukturwandel betroffen sind.
Aber auf alle Fälle wird sie ganz eng mit dem Internet verbunden sein.
P.S. Dieser Artikel ist die stark aktualisierte Neufassung eines Artikels, den ich bereits im Februar 2013 veröffentlicht habe.
alles richtig. Dennoch sollte bei Punkt 5.) ehrlicherweise ergänzt werden, dass die Zielgruppe hinreichend groß sein muss, wenn mit erfolgreich auch monetär erfolgreich gemeint ist.
Ja, da hast Du völlig Recht. Würde da aber neben der reinen Masse (die für Werbeformen wie Adsense wichtig ist) auch die Klasse ansetzen. Auch eine kleine Zielgruppe kann für Werbetreibende/Sponsoren etc. sehr interessant sein bzw. bereits sein, einen angemessenen Betrag für die Inhalte zu zahlen (Paid Content).
[…] Schluss mit dem Jammern, seid selbstbewusst und blickt nach vorne. Das rate ich jedem Journalisten, mit dem ich mich zur Zeit unterhalte. Und das sind viele. […]
Mal ganz unabhängig vom Einstampfen von Redaktionen, Kürzungen hier und da und dem wunderbaren Internet: QualitätsJournalismus findet noch wo statt?
Irgendwann nachts. Wenn die Leute im Bett liegen oder in der Kneipe sitzen. Beziehen wir das mal auf den ÖR.
Das is mein Klagelied. Und meine Hoffnung wird davon deutlich übertönt.
Danke für diese 7 Tibeter! Damit habe ich noch einmal die Bestätigung für meinen Weg bekommen.
Und wie genau dieser sich entwickelt, wird sich in Zukunft zeigen.
danke. bravissimo. super text. übrigens: ich mache 7 Tibeter jeden morgen…
Ein wirklich Güter Artikel. Journalisten müssen sich wirklich nicht um ihre Zukunft sorgen, es gibt lediglich eine Umverteilung und das ist eher eine Chance für den Journalismus, denn er wird unabhängiger und hochwertiger. Spannende Projekte wie beispielsweise vrowd.com stehen bereits in den Startlöchern.
Ist Marketing der neue Journalismus?
Ich glaube nein und die „7 Tibeter“ bestätigen mich darin. Allerdings habe ich den Eindruck das das Marketing und die Suchmaschinenoptimierer noch eine ganze Weile im Onlinebereich erfolgreich sein werden, bis die Bürger erkennen, welche Werte ihnen beim klassischen Journalismus wichtig sind. Gerade die Themen die keine hohe Quote erzielen laufen dabei Gefahr im Meldungswirrwarr unterzugehen, obwohl sie mitunter für die Menschen wertvoller sein können als die Trendthemen.
Viele Grüße, V. F. Alle
Es hat mich amüsiert, dass Sie diese fröhlichen und dem Materiellen so weitestgehend abgekehrten Typen aus dem alten Tibet als illustrierende Metapher verwendet haben. Was mich gleich auf Ihre Seite (im doppelten Sinne) gezogen hat, obwohl ich gern nörgeln gehe. Ich kenne weit mehr als 5 Tibeter persönlich, und dieses Märchenbuch („Die 5 Tibeter“) hat mit diesen Leuten, deren Gemüse Fleisch ist, nichts gemeinsam. Lachen tun sie aber immer noch gern. Ja, die Journalisten von heute streifen durch die Hochebene, auf der ein rauher Wind weht (so rauh, dass ich ihn mit h schreibe). Und reich werden sie dabei wohl auch nicht. Wie schreibende Journalisten im Internet gehört werden sollen, wie sie sich finanzieren sollen, ist mir nicht klar. Ich hoffe, Sie kriegen es gebacken — meine liebste Methode als Leser ist die der TAZ, bei der man einen Artikel hinterher entgelten kann, wenn man ihn gelesen und sich von seiner Qualität überzeugt hat. Mit Vorkasse machen Zeitungen sich hingegen selber kaputt. Als Kind wurde ich losgeschickt, eine warme Mark in der Hand, zu der zugigen Ecke, wo unser Zeitungsmann stand. Man gab die Mark für die Programmzeitschrift, denn man wusste, was man mitbrachte. Das ist im Internet anders; Bezahlartikel können keine Vertrauenssache sein, denn das Internet ist es auch nicht. Andererseits gibt es immer die Chance, so wie in YouTube ein Shooting Star zu werden. Und das ist das Schöne am Internet. Hätte ich Ihren Artikel in der TAZ gefunden (nur wegen der Zahlweise), er wäre mir mit Sicherheit ein Scherflein wert gewesen.
Herzlichen Dank für diese nette Anmerkung – hat mir viel Spaß gebracht beim lesen! :-)
Ich bin kein Journalist. Lese gerne kritische gut recherchierte Artikel.Sehe die 7 Tibeter (Zwerge) Regeln treffend formuliert. Gratuliere
[…] habe ich zum Beispiel den Twitter-Feed von Karsten Lohmeyer (@LousyPennies) abonniert, der auf Lousy Pennies über das Thema “Geldverdienen mit Journalismus im Netz” schreibt. Auf Twitter postet er aber […]
[…] Mein zuletzt gelesener Artikel war „Die 7 Tibeter des modernen Journalismus” auf dem BlogLousypennies.de und handelte davon, wie man als Journalist heutzutage Geld verdienen […]
[…] Götz Hamann und Bernd Ulrich finden: “Es ist noch reichlich Zukunft da”. 27. Oktober 2013: Zur Abwechslung nennt Karsten Lohmeyer seine Thesen auf Lousy Pennies die “sieben […]