Der digitale Tsunami: Wie die Digitalisierung über Verlage und TV-Sender hinweg rollt
9Traditionelle Medienunternehmen lassen sich zu wenig auf neue Technologien ein – und könnten bald weggefegt werden, meint Autor Nicolas Clasen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch Der digitale Tsunami: Das Innovators Dilemma der traditionellen Medienunternehmen (Affiliate-Link).
Trotz vergleichbarer Reichweiten bei Lesern und Zuschauern verdienen klassische Medienunternehmen wie Zeitungs- und Zeitschschriftenverlage und private TV-Sender im Netz kaum Geld mit Ihren Inhalten. Gleichzeitig hat sich eine neue digitale Elite um Apple, Google Facebook und Amazon etabliert, die mit Werbung und dem Verkauf von digitalen Contents Milliarden umsetzen.
Doch anstatt sich auf die neuen Technologien einzulassen, fragmentieren die traditionellen Medienunternehmen ihre Offlineangebote im Print und TV oder scheitern bei dem Versuch, ihre althergebrachten Geschäftsmodelle auf das neue Medium Internet zu übertragen. Doch das könnte sich bald rächen, denn mittlerweile drängen diese neuen Wettbewerber immer aggressiver in die Kernmärkte im TV- und Printgeschäft vor.
Tsunamis sind ein äußerst tückisches Naturphänomen. Ausgelöst von tektonischen Plattenverschiebungen unter Wasser werden riesige Energien in langen Wellen von Wassermolekül zu Wassermolekül über Tausende von Kilometern weitergegeben und sind dabei mit bloßem Auge kaum von den normalen Wasserbewegungen zu unterscheiden. Erst wenn die Tsunamiwellen auf die Küstenregionen treffen, wird das Ausmaß ihrer Zerstörungskraft deutlich.
In seinem Buch „The Innovators Dilemma“[1] analysiert der Harvard-Professor Clayton Christensen die Folgen solcher technologischer Tsunamiwellen in Form von disruptiven Innovationen. Warum versagen großartige Unternehmen im Wettbewerb um Innovationen, obwohl sie alles richtig machen; sie beobachten ihren Wettbewerb, befragen ihre Kunden oder verfügen über stattliche Forschungs- und Entwicklungsbudgets. Trotzdem verlieren sie ihre Marktführerschaft, sobald Veränderungen in Form von disruptiven Technologien auftreten[2].
Christensen präsentierte die Ergebnisse seiner Forschung bereits 1997 – zu einer Zeit also, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Und zur Veranschaulichung geht er sogar noch weiter zurück bis zur Entwicklung von Dampfschiffen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Trotzdem lassen sich seine Forschungsergebnisse auch auf die aktuellen Veränderungen auf den Medienmärkten anwenden. Denn genau wie der Dampfantrieb, der durch die neuartige mobile Verfügbarkeit von Energie zu einer Wachstumsgrundlage weiterer Innovationen wurde, führt die seit Beginn der 1990er Jahre einsetzende Digitalisierung zu einem Paradigmenwechsel in der Industriegeschichte.
Digitalisierung als Innovationstreiber
Die fast vollständige Digitalisierung der weltweit gespeicherten Informationsmenge vollzog sich in weniger als zehn Jahren. Im Jahr 1993 waren nur 3 Prozent aller Informationen digital gespeichert, 2007 waren es bereits 94 Prozent.[3] Damit steht die „Digitale Revolution“ auf einer Stufe mit der Industriellen Revolution 200 Jahre zuvor[4]. Mit ihr vollzieht sich der Übergang von der beinahe unbegrenzten Verfügbarkeit von Energie zur beinahe unbegrenzten Verfügbarkeit von Informationen, häufig auch als der „5. Kondratieff-Zyklus“ bezeichnet.[5]
Der Niedergang von Brockhaus ist ein weiteres Beispiel digitaler Disruption. Wikipedia hat innerhalb weniger Jahre zerstört, was sich der Verlag in 200 Jahren aufgebaut hatte.An Beispielen für die Verdrängung etablierter Unternehmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung mangelt es nicht – so geriet mit der aufkommenden Digitalfotografie eine ganze Branche ins Wanken und führte schließlich zur Insolvenz des Branchenprimus Kodak. Dabei fotografieren die Menschen nicht weniger als früher, eher im Gegenteil. Dennoch ist es Kodak und anderen Film- und Kameraherstellern nicht gelungen, auf die Herausforderungen durch die neuen digitalen Technologien entsprechend zu reagieren. Der Niedergang von Brockhaus ist ein weiteres Beispiel digitaler Disruption. Wikipedia hat innerhalb weniger Jahre zerstört, was sich der Verlag in 200 Jahren aufgebaut hatte: das Quasi-Monopol auf enzyklopädisches Wissen. Die Einführung von iTunes und dessen Folgen für den Musikmarkt, Onlinebuchungssysteme und deren Auswirkungen auf die Reisebürobranche, E-Commerce vs. Katalogversender – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.Das Internet wirkt dabei wie ein Katalysator, der die Umbruchsgeschwindigkeit beschleunigt – und auf die Medienbranche mit ihren vollständig digitalisierbaren und über Online-Plattformen distribuierbaren Inhalten hat diese Entwicklung einen besonders starken Einfluss.
Bereits im Jahr 2004 hatte der inzwischen verstorbene Publizist Peter Glotz, SPD-Politiker und Professor für Medien und Gesellschaft am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, kritisiert, dass sich Medienmanager jahrzehntelang mit dem Rieplschen Gesetz getröstet hätten, wenn es um die Konsequenzen der Digitalisierung für ihre Branche ging.
Die Aufhebung des Rieplschen Gesetzes
Glotz warnte vor den Folgen eines grundlegenden Strukturwandels, der auch vor den bisher geltenden Grundregeln nicht haltmachen würde.[6] Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Altphilologe und Journalist Wolfgang Riepl 1913 in seiner Dissertation seine bis heute populäre Hypothese formuliert. Im Kern besagt diese, dass neue Medien alte Kommunikationsmittel nicht verdrängen, wenn diese sich einmal bewährt haben.
„Es ergibt sich gewissermaßen als Grundsatz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, daß die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden können, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.“[7]
Oder zusammengefasst:
„Kein neues höher entwickeltes Medium substituiert ein Altes.“[8]
Bei der Einführung der privaten Fernsehsender in Deutschland in den 1980er Jahren hatte sich das Rieplsche Gesetz noch bewahrheitet. Der folgende Mehrkonsum an Fernsehminuten ging nicht zu Lasten der Printnutzung. Lieber verzichteten die Menschen auf andere Freizeitaktivitäten, um mehr Fernsehen zu können, als ihre Zeitungs- oder Zeitschriftenlektüre zu opfern.
Mit der Erfindung des Internets scheint das Gesetz seine Gültigkeit jedoch verloren zu haben. Zwar stieg die für die Mediennutzung aufgebrachte Zeit auch mit der Einführung des Internet insgesamt an. Aber das neue Medium wächst auch auf Kosten der Zeitbudgets, die bislang für Print und TV reserviert schienen. Betrachtet man die Entwicklung der Mediennutzung seit dem Jahr 2000, wird deutlich, dass die TV-Nutzungskurve abflacht, die Printnutzung zurückgeht, während die Onlinenutzung stark zunimmt. Die Einführung des Internets führt also zu einer zeitlichen Verlagerung innerhalb der Mediengattungen.
Print: Hohe Reichweiten, geringe Einnahmen
Für die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage wird diese Entwicklung immer mehr zu Problem. Deren digitalen Angebote haben inzwischen zwar hohe Reichweiten im Internet aufgebaut und erreichen damit ähnlich viele Menschen wie über ihre Printangebote.
Die Verlage können ihre digitalen Reichweiten nicht entsprechend monetarisieren.Beim Blick auf die Werbe- und Vertriebserlöse wird allerdings klar, dass sie diese digitalen Reichweiten nicht entsprechend monetarisieren können. Allerdings geben sich die meisten Verlage hierzulande in Bezug auf die Erlöse aus der digitalen Verwertung ihrer Inhalte eher zugeknöpft und weisen ihre digitalen Vertriebs- und Anzeigenerlöse nur kumuliert mit anderen Onlineaktivitäten aus. So lassen sich die Erlöse aus der Verwertung journalistischer Inhalte oft nur schätzen. Im digitalen Bereich macht Axel Springer sein Geld größtenteils mit Online-Kleinanzeigen und nicht mit der Vermarktung von journalistischen Inhalten.Der Axel Springer Verlag fasst unter den digitalen Vermarktungserlösen beispielsweise auch die Umsätze der TV-Produktionsfirma Schwartzkopff TV, der Preissuchmaschine Idealo und seiner Radiobeteiligungen zusammen. Doch eines wird trotz dieser Verschleierungstaktik aus dem Geschäftsbericht 2012 der Axel Springer AG klar: im digitalen Bereich macht das Unternehmen sein Geld größtenteils mit Online-Kleinanzeigen und nicht mit dem Geschäftsmodell, für das der Konzern eigentlich steht: der Bündelung und Vermarktung von journalistischen Inhalten.Beim Burda Verlag herrscht aufgrund der Börsennotierung der Digitaltochter Tomorrow Focus AG etwas mehr Transparenz. Die Erlöse aus der Vermarktung der journalistischen Angebote des Burda Verlags im Netz beliefen sich im Jahr 2012 auf geschätzte 80 Millionen Euro [9] . Und das, obwohl die Tomorrow Focus AG im selben Jahr der reichweitenstärkste Anzeigenvermarkter im deutschen Internet war.[10]
Ein niedriger Wert, auch im Vergleich mit den 645 Millionen Euro Umsatz, die der Verlag 2012 mit seinen inländischen Printangeboten, dem Zeitschriftenportfolio um Bunte, Focus und Co., erwirtschaftete. Der Rest des Gesamtumsatzes der Tomorrow Focus AG, insgesamt knapp 150 Millionen Euro in 2012, wurde unter dem Bereich E-Commerce/Transaktionsgeschäft verbucht. Das sind Umsätze, die mit der Vermarktung von journalistischen Inhalten ebenfalls nichts mehr zu tun haben.
Ein ähnliches Bild beim Spiegel Verlag, wo 2011 weniger als 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus dem digitalen Geschäft stammen. Und das obwohl SPIEGEL ONLINE das größte deutsche digitale Nachrichtenangebot ist, mittlerweile über ein scharfes journalistisches Profil verfügt und die Reichweite der SPIEGEL-Printausgabe sogar noch übertrifft [11] . Bei den Hamburger Verlagen Gruner + Jahr und der Bauer Media Group sieht es nach Schätzungen von Branchenexperten ähnlich aus.
DasMissverhältnis zieht sich quer durch die gesamte Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft. Dieses Missverhältnis zieht sich quer durch die gesamte Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft. Bereits 2010 zog Philipp Welte, heute Zeitschriftenvorstand des Hubert Burda Verlags, eine ernüchternde Bilanz. Die Werbemillionen, die alle redaktionellen Websites derzeit erwirtschafteten, seien „praktisch nichts.“ Fast alle journalistischen Angebote im Netz seien in Deutschland „tief defizitär“ [12] .Die Zahlen der überregionalen Tageszeitung FAZ, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zweifelsohne ein publizistischer Leuchtturm der deutschen Medienlandschaft, verdeutlicht die Misere. Der Jahresumsatz 2012 pro Leser bei der FAZ im Internet erreicht nicht mal zehn Prozent der Printerlöse.
Und der Blick in die USA verdeutlicht, dass es sich dabei um ein weltweites Phänomen handelt. Wie die Abbildung 11 zeigt, konnten dort die Verluste der Zeitungsverlage im klassischen Printgeschäft durch ihre Onlineaktivitäten nicht einmal annährend kompensiert werden. Mittlerweile liegen die Werbeerlöse der Zeitungen in den USA auf dem Niveau von 1950.
Dabei trifft der Rückgang der Werbeerlöse die amerikanischen Verlage besonders hart. Das Verhältnis aus den Einnahmen von Zeitungsverkauf zu Anzeigenverkauf beträgt in Gegensatz zu Deutschland circa 20 Prozent zu 80 Prozent.
TV: Online-Video-Erlöse auf niedrigem Niveau
Auch die Einnahmen aus der Vermarktung von Online-Videoinhalten der privaten TV-Sender in Deutschland sind eher ernüchternd. Der Anteil von Umsätzen aus Bewegtbildwerbung im Netz betrug bei der ProSiebenSat.1 Media AG im Jahr 2012 laut des eigenen Geschäftsberichts mit Bruttowerbeerlösen von 105 Millionen Euro nur etwa sechs Prozent des Gesamtwerbeumsatzes, den der Fernsehkonzern mit klassischen TV-Geschäft erwirtschaftete – Rabatte und Preisnachlässe der Onlineerlöse noch nicht berücksichtigt.
Ähnliches lässt sich bei der RTL-Senderfamilie feststellen. Hier liegt der Onlineanteil der Werbeeinnahmen mit TV-Inhalten bei 3,5 Prozent. Doch auch hier muss man sich mit Schätzungen behelfen, denn die TV-Sender weisen die Erlöse aus der Online-Verwertung ihrer Inhalte genau wie die meisten Verlage nicht getrennt aus.
In seiner Keynote auf den Medientagen München 2012 erklärte Dirk Specht, Leiter Business Development Elektronische Medien bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung, den TV-Sender ähnliche Erlösaussichten voraus: „Möglicherweise erleben TV-Sender das Gleiche wie Print-Medienmedien vor zehn Jahren”.
Der Medienwandel erreiche die Fernsehsender erst jetzt. Die Akzeptanz für lineare TV-Formate werden nachlassen, prognostizierte der Zeitungsmann. Sowohl bei den Reichweiten als auch auf dem Werbemarkt dürften sich die Vorteile digitaler Angebote gegenüber den herkömmlichen Fernsehangeboten auf Dauer durchsetzen.
Medienmanager blicken optimistisch in die Zukunft
Tatsächlich leben die Verlage nach wie vor relativ gut vom Verkauf ihrer Inhalte über das Medium Print. Doch obwohl die Printauflagen seit Jahren sinken, die Werbeeinnahmen stagnieren und sich der Medienkonsum immer weiter in Richtung Onlinemedien bewegt, war die Stimmung unter den Referenten auf der Jahrestagung des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) in Berlin im November 2012 betont optimistisch.Vielleicht war man insgeheim sogar erleichtert. Denn trotz aller düsteren Endzeitszenarien, die Experten und Berater den klassischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen seit Jahren vorhersagen, sind die entsprechenden Konsequenzen bisher ausgeblieben. Tatsächlich leben die Verlage nach wie vor relativ gut vom Verkauf ihrer Inhalte über das Medium Print. Zwar ist man sich darüber einig, dass seit einigen Jahren ein digitaler Tsunami durch die Medienlandschaft fege.
Doch die Verlage hätten die dadurch entstandenen Gefahren gut gemeistert. Denn: „Der Erfolg aller neuen Apps und aller neuen digitalen Verbreitungsformen ist abhängig von einer starken Marke im Print“, so Nicholas Coleridge, President Condé Nast International, in seiner Eröffnungsrede.[13] „Deshalb werden wir auch nie damit aufhören, neue Magazine zu launchen.“ Print werde weiter stark bleiben, so der Tenor bei den Verlagsmanagern.
Ähnlich zuversichtlich betrachten auch die TV-Manager ihre Branche: „Ich bin heute hierhergekommen, um ein Plädoyer für Optimismus abzugeben. Ich glaube an die Zukunft der Medienindustrie und insbesondere an die Zukunft des Fernsehens.“ Das waren die Worte, mit denen Gerhard Zeiler Ende Oktober 2012 die Medientage in München eröffnete.[14] Der Präsident von Turner Broadcasting System International und ehemalige Chef der RTL Group, Europas größtem privaten TV-Konzern, gab sich in seiner Key Note überaus zuversichtlich.
Am Beispiel von Netflix, einem börsennotierten US-Unternehmen, das Filme per Post verleiht und Video-on-Demand-Streams anbietet, stellte Zeiler dar, dass die etablierten TV-Sender durch die Digitalisierung und das Internet nicht bedroht seien. Trotz der über 20 Millionen Abonnenten, die Netflix mittlerweile in den USA hat, sei die Zahl der traditionellen Pay-TV-Haushalte nicht gesunken. Zeiler wertete dies als Beleg für die These, dass neue, innovative Geschäftsmodelle nicht den Tod der traditionellen Medien zur Folge haben müssen, sofern Letztere sich den neuen Gegebenheiten anpassen.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?
Tatsächlich gibt es in den USA keine nennenswerte Kabelgesellschaft, die nicht zusätzlich zu ihrem Stammgeschäft neuerdings auch Video-on-Demand-Dienste anbietet. So gilt es als tsunamisichere Strategie der klassischen Medienanbieter, den digitalen Herausforderern auf ihrem neu erschlossenen Terrain einfach Konkurrenz zu machen. Ein Muster, dem auch der größte Teil der deutschen Medienindustrie inzwischen folgt. So verfügt ProSiebenSat.1 mit seiner Video-Plattform Maxdome über eine komfortable Marktposition auf dem deutschen Video-on-Demand-Markt – allerdings auf vergleichsweise niedrigem Umsatzniveau und mit minimalen Investitionen in das Programmangebot. Das Kerngeschäft bei ProSiebenSat.1 bleibt weiter das klassische TV-Broadcasting.
Bei vielen der beteiligten Medienmanager scheint die Hoffnung zu bestehen, dass das Schlimmste bereits überstanden sei und die Gefahr aus dem Netz mit den bisherigen Maßnahmen abgewendet werden konnte. Der „digitale Tsunami“ ist in ihren Augen keine reißende Riesenwelle mehr, sondern nur noch ein mittleres Hochwasser, das man mit altbewährten Methoden und ein paar Sandsäcken einfach „abwettern“ kann.
Die Wenigsten gehen davon aus, dass die bisherigen Wellen nur Vorläufer einer wesentlich mächtigeren Riesenwoge sind, die eine tiefe Schneise in das traditionelle Mediensystem schlagen wird und es wesentlich radikalerer Maßnahmen bedarf, um Schadensbegrenzung zu betreiben.
TV: Angriff auf die Print-Budgets
Die entscheidende Schlacht findet für viele Medienmanager nicht auf dem Feld der neuen digitalen Kanäle, sondern zwischen TV-Sendern und Print-Verlagen statt.Die entscheidende Schlacht findet für viele Medienmanager folglich nicht auf dem Feld der neuen digitalen Kanäle, sondern zwischen TV-Sendern und Print-Verlagen statt. Der Kampf der Offline-Medien ist voll entbrannt, der jahrelange Burgfriede zwischen den klassischen Mediengattungen TV und Print scheint aufgekündigt.Ein Blick in den ProSiebenSat.1-Geschäftsbericht 2011 verdeutlicht die Situation: „Während die Printbranche in den vergangenen Jahren Verluste hinnehmen musste, ist das Fernsehen nach wie vor das beliebteste Massenmedium. Mit mehr als drei Stunden täglich liegt Fernsehen vor der Nutzung sämtlicher anderer Unterhaltungsmedien. Branchenexperten gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Da die Bedeutung des Fernsehens gleichzeitig steigt, sieht ProSiebenSat.1 die Möglichkeit, Werbemarktanteile vom Print- ins TV-Segment zu verlagern.“
Um diese zu erreichen, fragmentieren die Sender ihre Angebote immer stärker. Nachdem ProSiebenSat.1 2010 mit Sixx einen Sender mit der Zielgruppe Frauen gestartet hat, folgten mit Sat.1 Gold, Sat.1 Fun und Pro7 Maxx weitere Spartensender. Und auch die Mediengruppe RTL Deutschland stellt mit RTL Nitro 2012 erstmals seit dem Start von Super RTL vor fast 17 Jahren einen neuen Free-TV-Kanal vor.
Print: Investition in evolutionäre Innovationen
Und die Printverlage reagieren darauf. Eine Welle der Allianzen rollt durch die Medienlandschaft, immer mehr Verlage tun sich zusammen. Mit der gemeinsamen Markt-Media-Studie Best4Planning der vier großen Zeitschriften-verlage Axel Springer, Bauer Media Group, Gruner + Jahr und Hubert Burda Media hat man nun über 25 Jahre nach Einführung des Relevant Set Modells durch die privaten Fernsehsender reagiert und versucht nun, einen eigenen einheitlichen Mediastandard zu etablieren. Als Herausgeber fungiert die gemeinsame Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK). Der Name des Instituts lässt erahnen, wen man damit beeindrucken will.
Angriff aus dem Netz
Was Gerhard Zeiler zum Zeitpunkt seiner Rede im Herbst 2012 noch nicht wissen konnte: im Dezember desselben Jahres gab die von ihm zitierte Video-on-Demand-Plattform Netflix bekannt, dass sie sich für kolportierte 300 Millionen US-Dollar ab 2016 die exklusiven Vertriebsverwertungsrechte aller Walt-Disney-Produktionen gesichert hat.[15] Zu dem Deal gehören alle Inhalte von Disney, Walt Disney Animation Studios, Pixar Animation Studios, Marvel Studios und Disneynature sowie alle zukünftigen Lucasfilm Star Wars Episoden. Bisher hatte Netflix erworbene Inhalte erst lange nach der Kino-, TV- und DVD-Auswertung zeigen dürfen. Mit der neuen Vereinbarung erhält die Internetplattform jetzt aber direkten Zugriff auf die Inhalte und kann sie sogar noch vor der TV-Ausstrahlung nutzen.
Netflix greift die klassischen TV-Sender direkt in ihrem Kerngeschäft anDamit steigert Netflix den Mehrwert seines Dienstes für die Nutzer erheblich und greift die klassischen TV-Sender direkt in ihrem Kerngeschäft an. So stehen die Sender in den USA schon seit längerem unter Druck. Bisher hatten Marktzugangsbeschränkungen wie Sendelizenzen und hohe Fixkosten für die TV-Infrastruktur die traditionellen Broadcaster geschützt; doch dies scheint nun vorbei zu sein und macht sich vor allem auf den Beschaffungsmärkten für Inhalte bemerkbar. Der amerikanische Sender ESPN musste 2013 mit 700 Millionen US-Dollar fast doppelt so viel Geld für die Übertragungsrechte der Baseball Liga auf allen Kanälen ausgeben wie im Jahr zuvor.[16]Apple dominiert den Markt für digitale Bezahlinhalte
Durch die Möglichkeit, Inhalte direkt von zu Hause auf den heimischen Fernseher zu laden, entsteht zusätzlich ein neues Marktsegment, das den TV-Sendern erhebliche Konkurrenz verspricht. Mit der Verbindung aus Endgeräten, Software und Medienangeboten hat Apple schon heute ein eigenes Ökosystem für Bezahlinhalte etabliert und dominiert den Bereich der Paid-Content-Plattformen in den USA deutlich.
Apple bietet mit der Set-Top-Box Apple TV auch schon in Deutschland die Möglichkeit, iTunes-Inhalte über den Fern-seher zu nutzen – und dies mit den typischen Apple-Eigenschaften wie hochwertigem Design und einfacher Nutzerführung. Die Fernbedienung des Apple-TV-Geräts besteht aus einem kleinen, eleganten Aluminiumgehäuse mit gerade mal vier Knöpfen. Damit navigiert der Nutzer durch das auf einfachste Bedienung optimierte Userinterface, das auf die Fernbedienung perfekt abgestimmt wurde. Hier scheint sich die Formel „Apple-User = hohes Haushaltseinkommen = hohe Bezahlbereitschaft für qualitativ hochwertige Inhalte“ zu bewahrheiten – zumindest, wenn man die Umsätze, die Apple mit seinem iTunes Angebot erwirtschaftet, betrachtet.
Amazon wird zur digitalen Vertriebsplattform
Ähnliches gilt für Amazon, die neben dem E-Commerce-Geschäft mit Büchern, DVDs und anderen Medienträgern auch den direkten Verkauf von digitalen Inhalten für sich entdeckt haben. Mit dem Amazon Kindle und dem Inhalte-Dienst Amazon Prime, einem Abochannel für Video- und Kindle-Inhalte, expandiert Amazon in den digitalen Vertrieb von Inhalten und schafft für den User ein eigenes Ökosystem, aus dem er sich möglichst nicht mehr hinausbewegen soll.
Dabei werden Inhalte immer wichtiger. So sicherte sich Amazon die Rechte zum Onlinestreaming der Stephen King-Serie „Under the Dome”, und zwar zur zeitgleichen Veröffentlichung wie im TV.[18] Und im Sommer 2013 gab das Unternehmen bekannt, zwei eigenproduzierte Comedy-Serien und drei Kinderprogramme an den Start zu bringen. Die Auswahl der Serien wurde auf der Basis von Nutzer-Feedback getroffen, nachdem Amazon im Frühjahr 2013 mehrere Pilotsendungen ausgestrahlt hatte.
Die neuen Wettbewerber gehen zunehmend selbst ins finanzielle Risiko.Amazon will auch in Zukunft auf diese Weise weitere erfolgsträchtige Streaming-Produktionen herausbringen. „Der Erfolg der ersten Pilottests haben uns den Anstoß gegeben, denselben Ansatz noch mit weiteren Serien zu versuchen“, zitiert Cnet Roy Price, Chef der Amazon Studios[19]. Bei den ersten eigenproduzierten Serien handelt es sich um eine politische Komödie mit John Goodman sowie um ein Geek-Drama mit vier jungen App-Entwicklern.Und Kevin Spacey produzierte seine mehrfach prämierte Serie „House of Cards“ exklusiv für Netflix.[20] Die neuen Wettbewerber gehen so zunehmend selbst ins finanzielle Risiko und lassen hochqualitative Bewegtbild-Inhalte auf eigene Kosten erstellen, um die Phalanx zwischen Inhalte-Händlern und TV-Stationen zu durchbrechen.
Google und Facebook greifen die klassischen Branding-Budgets an
Neben der Konkurrenz auf dem Beschaffungsmarkt für Inhalte wächst auch auf dem Werbemarkt die Konkurrenz aus dem Netz. Das Internet bietet werbetreibenden Unternehmen bisher vor allem die Möglichkeit, ihre Vertriebs- und E-Commerce-Umsätze über Suchmaschinenwerbung und Banneranzeigen anzukurbeln.
Und Google dominiert mit seinem abverkauforientierten Werbemodell den gesamten Onlinewerbemarkt fast schon monopolistisch. In Deutschland gingen 2012 über 70 Prozent der Netto-Online-Werbe-einnahmen direkt in die Taschen des Suchmaschinengiganten aus Palo Alto[18], weltweit waren es circa 44 Prozent.[21] Der Gesamtumsatz lag im Geschäftsjahr 2012 weltweit bei über 50 Milliarden US-Dollar. Erwirtschaftet wird dieser Umsatz fast ausschließlich über Anzeigen. Damit hat Google im ersten Halbjahr 2012 erstmals höhere Werbeerlöse erzielt als sämtliche Printmedien in den USA zusammen.[22]
Aber das neue Medium hat sich immer noch nicht als Kanal für die hochpreisigen Image- und Branding-Anzeigenbudgets etabliert, von denen die klassischen Medienunternehmen ihre Umsätze bestreiten. So konnten die Verlage und TV-Sender mit den neuen Wettbewerbern bisher relativ friedlich koexistieren, ohne dass sie von Google & Co. in ihrem Kerngeschäft bedroht wurden.
Mittlerweile versucht Google jedoch, sein Werbemodell auch abseits von den bisher dominierenden direkten Abverkaufskampagnen weiter auszuweiten und drängt auf die Kernmärkte der etablierten Medienunternehmen vor. Und auch Facebook attackiert mit seinem Werbemodell zunehmend die klassischen Branding-Budgets und legt dabei ein rasantes Wachstum an den Tag.
Aus den digitalen ‚Davids‘ sind schon lange ‚Goliaths‘ geworden. Apple macht allein mit dem Verkauf digitaler Inhalte über iTunes mehr als doppelt so viel Umsatz wie der Burda Verlag in 2012 mit all seinen Print- und Digitalaktivitäten zusammen.
Die neuen Wettbewerber operieren auf Grundlage funktionierender digitaler Geschäftsmodelle. Das Fatale für die etablierten Medienunternehmen: der Grad der Annährung ist nicht mehr allein von ihnen abhängig, auch die Internetriesen bewegen sich auf die margenstarken Premiummärkte der Offline-Konkurrenz zu. Im Gegensatz zu den traditionellen Medienunternehmen, die sich aus ihrem schwächelnden Kerngeschäft in einer Defensivbewegung befinden, operieren die neuen Wettbewerber auf Grundlage funktionierender digitaler Geschäftsmodelle. Und so drängen die neuen Wettbewerber zunehmend aggressiv in das Stammgeschäft der etablierten Medienunternehmen vor.Durch die Technologisierung der Vertriebsstrukturen der Medienindustrie wird aus dem lokalen und nationalen Mediengeschäft zusehends ein globalisierter Weltmarkt, in dem jeder mit jedem konkurriert. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die TV-Sender und Zeitschriften- und Zeitungsverlage auf ihrer Suche nach neuen, digitalen Geschäftsmodellen.
Chaotische Umbrüche oder repetitiver Musterverlauf?
Die Theorie der disruptiven Innovationen kann hier helfen, einen klareren Blick auf die Gesetzmäßigkeiten der teilweise chaotisch anmutenden Umbrüche zu erhalten. Gleichzeitig bietet Christensen Handlungsempfehlungen an, wie die etablierten Unternehmen die disruptiven Herausforderungen meistern können.
Den „blinden Fleck“ erkennen
Das eigentlich Spannende an Christensens Theorie ist, dass sie nicht nur die Gewinnerseite solcher disruptiver Prozesse beleuchtet, sondern sich vor allem mit den Verlierern dieser Entwicklung beschäftigt. Wie konnte es dazu kommen, dass überaus erfolgreiche und hoch innovative Unternehmen scheitern, obwohl sie die aus ihrer subjektiven Sicht richtigen rationalen Entscheidungen getroffen haben, um auf die Veränderungen im Markt zu reagieren? Das vorliegende Buch versucht hier Antworten zu finden und den „blinden Fleck“ der Akteure aufzuzeigen und verdeutlichen, wie die etablierten Medienunternehmen bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen in typische, aber höchst gefährliche Verhaltensmuster verfallen, die letztendlich zum Scheitern führen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch Der digitale Tsunami: Das Innovators Dilemma der traditionellen Medienunternehmen
Wichtige Anmerkung:
Alle Links, die in diesem Artikel zu Amazon.de führen sind sogenannte Affiliate-Links. Das heißt, wir von LousyPennies.de erhalten für jeden Kauf, der nach einem Klick auf diesen Link erfolgt, eine kleine Provision. Der Preis des Buches erhöht sich dadurch für den Käufer nicht – aber wir freuen uns über ein paar Pennies mehr in der Kasse.
Über Nicolas Clasen
Nicolas Clasen (*1974 in Hamburg) ist Gründer von digicas und lebt als selbstständiger Unternehmensberater und Autor in München. Er ist Diplomökonom und hat Wirtschaftswissenschaften an der Privaten Universität Witten/Herdecke studiert. Während seiner beruflichen Laufbahn war er immer Grenzgänger zwischen etablierten Medienunternehmen und schnell voranpreschenden Start-Ups.
[2] Clayton M. Christensen, Stephan Friedrich von den Eichen, Kurt Matzler (2011): The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren, München
[4] Kondratieff, Nikolai D. (1926): Die langen Wellen der Konjunktur, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, S. 56f.
[5] Glotz, Peter, Meyer-Lucht, Robin (2004): Online gegen Print, Konstanz, S. 11ff.
[6] Riepl, Wolfgang (1913): Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer. Leipzig: S. 5
[7] Glotz, Meyer-Lucht, 2004, S. 12
[8] Geschäftsbericht Tomorrow Focus AG 2012, Geht man davon aus, dass der Digitalvermarkter eine marktübliche Vertriebsprovision zwischen 30 Prozent bis 50 Prozent berechnet und auch nicht Burda-eigene Webseiten vermarktet, dürfte die Zahl der gesamten Digitalerlöse aus dem Inhalte-Angebot des Mutterkonzerns bei etwa 80 Millionen Euro liegen.
[9] AGOF/agma, 2012
[10] Unternehmensangaben, Rudolf Augstein GmbH, Konzernbilanz 2011 im Bundesanzeiger
[11] Schütz, Volker (2010): Was bringt Displaywerbung? In: Horizont, Erscheinungsdatum 09.09.2010, Frankfurt
[12] Coleridge, Nicolas (2012): Vortrag auf dem VDZ Publishers‘ Summit: Hubert Burda fordert Chancengleichheit im Wettbewerb, Erscheinungsdatum08.11.2012, URL: http://www.printwirkt.de/pw-
[13] Zeiler, Gerhard (2012): „Weichen stellen. Die neuen Gesetze der Medienwelt“, Keynote Internationale Münchner Medientage, 24. Oktober 2012, München
[14] Lawler, Rayen (2012): Netflix Strikes Streaming Deal With Disney, Gains Exclusive Access To New Titles Beginning In 2016, Erscheinungsdatum 24.12.2012, URL: http://techcrunch.com/
[15] Frerker, Dr. Marcus (2013): everything everywhere – Was Verbraucher wollen und worauf sich Medienunternehmen einstellen müssen“, 5,6 Mrd. US-Dollar für MLB-Baseball-Rechte bis 2021 – TV/Radio, International, Mobile, McKinsey-Vortrag auf dem Horizont Medienkongress 2013, Frankfurt
[16] Kafka, Peter (2013): Amazon Will Get New CBS Stephen King Series While It’s Still on the Air, erschienen am 11.02.2013 in AllthingsD, URL:http://allthingsd.com/
[17] Farber, Dan (2013): Amazon Studios debuts 14 pilots for free viewing, erschienen online am 19. April 2013, URL: http://news.cnet.com/8301-
[18] Matyszczyk, Chris (2013): Netflix enjoys fine Kevin Spacey ad at White House dinner, erschienen in CNET am 28. April 2013, URL: http://news.cnet.com/8301-
[19]Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) (2013): Netto-Werbeeinnahmen erfassbarer Werbeträger in Deutschland 1964-2012, Berlin
[20] Zenith Optimedia (2013): ZentralTop Thirty Global Media Owners 2013, URL: http://www.zenithoptimedia.
[21] NAA, Pew Research Center (2012): Einnahmen amerikanischer Zeitungen mit Print- und Onlinewerbung von 2003 bis 2011 (in Millionen US-Dollar), Erhebung durch Newspaper Association of America (NAA), Veröffentlicht durch Pew Research Center’s Project for Excellence in Journalism, März 2012
[…] URL: http://www.lousypennies.de/2013/10/23/der-digitale-tsunami-wie-die-digitalisierung-ueber-verlage-und… […]
Erfreulicherweise liest sich der Artikel differenzierter als seine marktschreierische Aufmachung. Jenseits der Ankündigung von Tod und Vernichtung scheinen Thesen zur Medienentwicklung heute kaum noch verkäuflich. Gerade da war das Riepl´sche „Gesetz“ (das in der Kommunikationswissenschaft nie eines war) immer schon hilfreich. Wenn man es richtig auslegt. Denn es bedeutet gerade nicht, dass man die Hände in den Schoß legen kann, weil eh alles gleich bleibt. Richtig interpretiert, besagt die Riepl´sche Erkenntnis: Kein neues Medium vernichtet ein Bestehendes komplett, es werden allerdings die Funktionen der Medien neu geordnet. Unter Umständen radikal, wie wir gerade erleben. Wie immer, lassen sich die Probleme ganz gut analysieren. Dies leistet sicher auch Herr Clasen. Bei der Lösung wird es dann aber grob. Nun kommt statt der Ursachenforschung eine Schuldzuweisung. Plus Patentlösung. Also hier: Alle deutschen Medienmanager haben gepennt. Sie hätten ihre komplexen Unternehmensstrukturen einfach ganz schnell irgendwie digital modellieren sollen. Sofort folgt dann das Beispiel USA. Logisch, dort wurde die globalisierte Grundausrichtung des Internets ja auch programmiert. Demnach konkurriert nicht nur jeder mit jedem, sondern auch eine Auffassung von Medien als kulturellem Wert mit einer marktradikalen Sichtweise. Mit neuen, rein digitalen Geschäftsmodellen allein lässt sich weder die Konkurrenz mit den US-Monpolisten gewinnen noch die Frage nach der Funktion von Medien für diese Gesellschaft beantworten. Die Antwort muss leider differenzierter ausfallen. Letztlich ist es auch das, was der alte Riepl uns sagt.
Lieber Herr Hansen, vielen Dank für ihr Feedback! Der Artikel ist die Einleitung meines Buches und damit nur ein Auszug, aber ihre Leseart ist in dieser verkürzten Form absolut nachvollziehbar. Mein Lösungsansatz ist hoffentlich doch etwas breiter gefächert. Meine Basisthese: Verlage und TV-Manager sollten sich auch im Netz auf die Erstellung und Bündelung hochwertiger Inhalte konzentrieren und dabei die multimedialen Möglichkeiten voll ausnutzen, statt zu versuchen, eigene digitale Vertriebsstrukturen aufzubauen oder sich in Online-Abenteuer a la Zooplus, Xing oder Zanox zu verrennen. Doch viele Medienmanager scheinen die Hoffnung auf die Refinanzierbarkeit hochwertiger digitaler Inhalte bereits aufgegeben zu haben und ziehen sich lieber auf die stagnierenden Print- und TV-Märkte zurück. Ein Verhalten, das ziemlich exakt dem entspricht, was der Harvard Professor Clayton Christensen in seiner Theorie der disruptiven Innovationen beschreibt und die der eigentliche Kern meines Buches ist.
Lieber Herr Clasen, jetzt danke ich für die Antwort. Meine Neugier auf Ihr Buch ist sicher geweckt, meine Skepsis aber nicht ausgeräumt. Denn disruptive Technologie vernichtend bestehende Verfahren vollständig. Diese sehr amerikanische Betrachtungsweise hat zumindest den Vorteil, dass sie sehr simpel ist, weil ausschließlich auf ökonomischen Wettbewerb fixiert. Und richtig: Auch hierzulande wartet die digitale Technik- und Wirtschaftselite auf den Startschuß, endlich in die Vollen gehen zu können. So weit, so verständlich und wirtschaftshistorisch geradezu normal. Tatsächlich kann ich Ihnen gut folgen, wenn Sie vermuten, dass immer noch viele Verantwortliche der Refinanzierbarkeit hochwertiger Inhalte im Digitalen misstrauen. Denn dazu haben sie weiterhin allen Grund. In aller Regel mussten und müssen Unternehmen Innovationen wagen, Qualität sichern und gleichzeitig die aufwändigen Strukturen refinanzieren. Heikle Übung, wenn man dabei noch die Verantwortung für viele Menschen hat. Vom „meritorischen Gut“ demokratischer Öffentlichkeit will ich in diesem Kontext erst gar nicht anfangen. Bislang wurden die Geschäftsmodelle für Qualtiätsprodukte der Medien jedenfalls immer vom Aspekt der Querfinanzierung (Private) oder Subventionierung (Öffentlich-rechtliche) geprägt. Hochwertige Inhalte im Netz „erstellen“ und „bündeln“, empfehen Sie. Daran versuchen sich ja bereits alle. Wäre es jetzt klüger, wenn sie auch noch Print und TV einstellen? Die spannende Frage bleibt: Wie sähe die disruptive Denke in Old Europe aus, mit der sich hiesige Medienunternehmen gegen die Marktmacht der Big Five behaupten können?
Meine Einschätzung der disruptiven Innovationen beschränkt sich bisher auf die Werbevermarktung von journalistischen Inhalten und TV-Programmen, nicht auf deren Erstellung. Die etablierten Medienunternehmen haben jahrelang versucht, ihr Tausender-Kontaktpreis-Modell auf die neuen digitalen Kanäle zu übertragen und sind damit gescheitert. Denn das Netz bietet über den Rückkanal eine direkte Messbarkeit der Userreaktion auf eine Werbebotschaft und ermöglicht dadurch leistungsbasierte Abrechnungsmodelle, die für eine neue Verteilung des Investitionsrisikos zugunsten des Werbekunden führen. Google hat sich mit Hilfe eines rückkanalbasierten Anzeigenmodells einen eigenen Markt für Direktvertriebsanzeigen geschaffen, ohne Print und TV dabei bisher direkt in deren Kerngeschäft anzugreifen, übrigens ein typischen Merkmal einer disruptiven Innovation. Doch mit der neuen Datenqualität von Facebook und dem sogenannten Real-Time-Bidding könnte jetzt der Sprung in den Premiummarkt der Image- und Brandinganzeigen bevorstehen – es fehlen nur noch die qualitativ hochwertigen Inhalte im Netz. Und das die von Ihnen angesprochen Big Five dabei nicht auf die Verlage und TV-Sender warten wollen, die weiterhin versuchen, ihr Print- und TV-Geschäft zu schützen, zeigt das Beispiel Amazon. Weil er sich nicht auf die Zeitungsverlage verlassen will, um ein ordentlich gemachtes Newsangebot für seinen Kindle zu erhalten, kauft Jeff Bezos die Washington Post – und die Branche staunt weltweit, das jemand in einen Verlag investiert. Dabei sind nicht die Nachfrage nach Inhalten rückläufig, sondern lediglich die Auflagen der Vertriebsform Print – und dies sollte man klar trennen.
Habe IhreTrennung der Themen verstanden. Vermarktung und Inhalt werden häufig zusammen diskutiert, weil sich das so klar vielleicht auchnicht immer trennen lässt. Die Thematik „Wir haben die Tools – wo bleiben die Inhalte?“ kenne ich schon seit Jahren. Was hakt da nur? Danke für die Anregungen.
Bei Interesse finden sie weitere Auszüge unter http://www.digicas.de …. Und um es mit Lothar Matthäus zu sagen: Jetzt bloss nicht den Sand in den Kopf stecken! Es gibt noch Hoffnung :-)
@Nicolas. Kann es nicht sein, dass die Entwicklung für Print- und TV-Medien unterschiedlich verlaufen wird? Printmedien sind journalistische Medien, das kann man von privaten finanzierten TV-Medien nicht behaupten. sie haben allenfalls ein paar journalistische Einsprengsel. Ähnliches gilt übrigens für viele Printmagazine. Es ist zudem ein Irrtum zu glauben, dass sich Zeitungen je über den Verkauf von Inhalten finanzierten. Sie waren Organisatoren des Marktes und spielten auf regionaler Ebene eine Rolle, wie sie heute von Google oder Ebay übernommen wird. Der Inhalt war nur ein Teil des Bündels Eine unabhängige Presse mit brummendem Geschäftsmodell existierte im engeren Sinne wohl ohnehin nur seit 1945. Die verbliebenen zeitungen waren selbst Profiteure eines vorangegangenen Zeitungssterbens, das durch Radio und Fernsehen verursacht worden war, und hatten dann Mono- oder Duopole auf regionalen Märkten. Vor 1945 gab es allenfalls ansatzweise eine freie Presse nach dem heutigen Ideal der „vierten Gewalt“. Die Presse war zum großen Teil weltanschaulich, religiös oder parteilich gebunden, also alles andere als „frei“ und fast immer subventioniert. Es wäre ein absoluter Irrtum zu glauben, das heutige „traditionelle“ Medien ihre Inhalte je über Werbung (oder Werbung und Verkauf) refinanzieren könnten. So gesehen gibt es nur ein fuktionierendes Geschäftsmodell für Journalismus: das öffentlich-rechtliche.
Lieber Thierry,
offensichtlich hast Du die Buchmesse gut überstanden und inzwischen Zeit gehabt, mein Buch zu lesen! Falls nicht, antworte ich natürlich trotzdem gern: Wie im letzten Kapitel beschrieben stimme ich mit Dir im Bezug auf die unterschiedliche Entwicklung von Print- und TV-Medien überein. Die Vertriebswege von TV-Inhalten lassen sich komplett digitalisieren, ohne eine spürbare Veränderung im Nutzungserlebnis für den Zuschauer. Hier sind den neuen Wettbewerbern um Apple, Google, Netflix und Amazon tatsächlich Tür und Tor geöffnet und in den USA kommt es bereits zu ersten „Begegnungen der dritten Art“ auf den heimischen TV-Bildschirmen. Für das haptische Erlebnis einer Zeitung oder Zeitschrift gelten andere Gesetze: mittelfristig werden sich einige reine Printmedien vielleicht mit wesentlich geringerer Auflage, dafür aber wesentlich höherem Copypreis und möglicherweise ganz ohne Werbung halten können. Aber wieso sollten Sie? Print ist keine Lebensanschauung, sondern ein ersetzbarer Sendekanal für Botschaften. So kann ich deinem Argument zu den Marktplätzen auch nur bedingt zustimmen: schon heute sind ein Großteil der Kleinanzeigen ins Netz abgewandert, Zeitungen gibt es trotzdem noch. Für mich geht es für die traditionellen Medien wirklich darum, dass „gesellschaftliche Lagerfeuer“ am Brennen zu halten, egal ob durch relevanten Lokaljournalismus oder die große TV-Show. Nur so kann die vierte Gewalt im Staat auch zukünftig refinanziert werden. Und dazu müssen Medienunternehmen Begehrlichkeiten schaffen, bei Leser, Zuschauer und Werbekunden.
In Bezug auf die öffentlich-rechtliche Refinanzierung stimme ich Dir zu, unter der Bedingung dass wir die Rundfunkgebühren halbieren und ARD und ZDF abschalten.