Chefredakteur Jens Ihlenfeld: „Wir wollen gute Autoren langfristig an Golem.de binden“
2Wälzt Golem.de mit seinem neuen Vergütungsmodell das Risiko auf die Schreiber ab? Wir haben nachgefragt…
Eigentlich bin ich ja als recht gelassener Mensch bekannt, einige Dinge machen mich aber ziemlich wütend. Nach der dramatischen Reaktion vieler User auf die Anti-Adblocker-Kampagne der Verlage sind es nun die vielen negativen Kommentare über ein neues Vergütungsmodell, das das Portal Golem.de vorgestellt hat – zusammengefasst in diesem Artikel auf taz.de (Bitte das Zahlen nicht vergessen!), der meiner Ansicht nach die Idee in einem ziemlich negativen Licht dastehen lässt.
Meine Meinung:
Die Macher von Golem haben eine wirklich charmante Idee entwickelt, Autoren an den Abrufzahlen ihrer Artikel zu beteiligen. Kurz gesagt: Es gibt ein Basishonorar – und dann je nach Seitenabrufen ein mehr oder weniger fettes Extra oben drauf. Mich als unternehmerisch denkenden Journalisten, spricht das an. Und auch den Zocker in mir, der viel Spaß daran hat, (Qualitäts-)Artikel zu schreiben, die zu hohen Klickzahlen führen.
Aber fragen wir doch einfach den Mann, der für das Modell verantwortlich ist: Jens Ihlenfeld, Chefredakteur und Gründer von Golem.de.
„Das Paket aus Reichweite, Bekanntheit und Vermarktung ist attraktiver als die Selbstvermarktung oder ein Pauschalhonorar“
Hallo Jens, wollt Ihr eigentlich Qualitätsartikel zum Dumpingpreis einkaufen – und das unternehmerische Risiko auf die Autoren abwälzen?
Ja, wir wollen Qualitätsartikel kaufen. Aber wir wollen das unternehmerische Risiko nicht abwälzen, sondern es teilen. Die Autoren tragen etwas Risiko mit, indem sie ihr gesichertes Grundhonorar etwas niedriger ansetzen als üblich, haben dafür aber die Chance, auch mehr zu verdienen, als bisher möglich war. Die Reichweite soll dabei nur einer von mehreren Faktoren sein.
Also keine Dumping-Preise?
Nein. Aber ich kann natürlich nicht jedem Autoren 500 Euro Honorar anbieten, ohne dass wir sie auch wieder einspielen.
Da wären wir wieder bei der Abwälzung des unternehmerischen Risikos. Ihr wollt also die Bezahlung der Autoren daran knüpfen, wie viel die Werbung auf ihrem Artikel bringt?
„Die Werbeeinnahmen haben gar keinen direkten Einfluss.“Die Werbeeinnahmen haben gar keinen direkten Einfluss. Die Vergütung hängt zwar indirekt von unseren durchschnittlichen Einnahmen – die in die Kalkulation einfließen – ab, ob der einzelne Artikel aber nun Umsatz generiert oder nicht, spielt für den Autor keine Rolle. Schließlich haben weder Autoren noch die Redaktion Einfluss auf die Werbevermarktung.Wie viel wir einem Autor für sein Stück zahlen, verhandeln wir derzeit mit jedem einzeln. Es hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel: Ist der Autor bekannt, ist er ein kompetenter Schreiber oder muss sein Text aufwendig redigiert werden, hat er Expertenwissen, bringt er viele Follower mit?
Was hat das mit den Followern zu tun?
Wir profitieren davon durch mehr Reichweite und können damit unsere Seite und auch konkret den Artikel besser vermarkten.
Und dann ermittelt Ihr einen individuellen Autorenpreis pro Page Impression?
Ja, aber wir zahlen auch einen Basisbetrag, mit dem der Autor auf jeden Fall rechnen kann. Auch das gilt aber nicht für jeden Autor und jeden Text. Wir sind weiter bereit, auch feste Honorare zu vereinbaren, wenn der Autor das wünscht. Und manche Texte wollen wir einfach auf unserer Seite haben, weil wir sie für spannend und relevant halten. Dafür zahlen wir dann auch einen Preis, der deutlich höher ist, als der, den wir nach dem Preis pro Page Impression zahlen würden.
Schauen wir mal auf die Zahlen: Was werden Eure Autoren nach dem neuen Modell für ihre Artikel erhalten?
Ein Artikel, der 20.000 bis 25.000 Abrufe hat, wird auf etwa 50 bis 100 Euro kommen, bei 200.000 wird das Honorar bei 500 bis 1.000 Euro liegen.
500 bis 1.000 Euro? Da seid Ihr ja deutlich über aktuellen Printpreisen. Aber wie realistisch sind 200.000 Anrufe auf Golem?
„Ein guter Artikel kommt auf 100.000 Abrufe, ein sehr guter auf 200.000.“ Im Schnitt sind die 25.000 normal. Aber wir wollen ja die guten, journalistischen Beiträge, die das Potenzial dazu haben, mehr zu bringen. Ein guter Artikel kommt auf 100.000 Abrufe, ein sehr guter auf 200.000. Übrigens gibt es auch Artikel, die bis zu einer Million Mal abgerufen werden – aber nur einmal pro Jahr.Wie oft werdet Ihr solche Artikel veröffentlichen?
Das kommt ganz darauf an, wie viele hochwertige Texte uns angeboten werden. Mehr als fünf pro Woche sollen es aber eher nicht werden.
Ihr hattet ja bisher schon Gastbeiträge von Bloggern, wie zum Beispiel Tobias Gillen. Wie habt Ihr die bezahlt?
„Viele Blogger wollten gar kein Geld haben.“Die Autoren, die Geld haben wollten, haben wir nach unserem Pauschalsystem bezahlt. Einigen haben wir nachträglich noch mehr Geld angeboten, weil ihre Texte so enorm viele Zugriffe hatten. Viele wollten aber gar kein Geld haben – vor allem für Meinungsstücke und Zweitverwertungen. Diese Artikel haben uns gezeigt, wie unsere Leser auf solche Angebote reagieren.Und wie?
Sehr gut. Es waren Artikel dabei, die weit über 100.000 Zugriffe generiert haben und von Lesern im Forum gelobt wurden. Danach haben wir uns unsere Gedanken gemacht, wie wir das professionalisieren und angemessen vergüten können.
Nun kommt ja demnächst die Huffington Post nach Deutschland, die ebenfalls auf Blogger setzt – aber den Leuten nichts zahlt. Wie siehst Du das?
„Die Variante, dass Inhalte kostenlos von Bloggern geschrieben werden, kann nicht das Modell sein, mit dem man online tolle Inhalte schafft.“Wenn ich Masse generieren will und alles auf Google und SEO setze, dann mag das funktionieren. Wir bei Golem wollen aber einen Stamm toller Autoren aufbauen, die wir angemessen vergüten – und mit denen man auch über andere spannende Projekte wie zum Beispiel digitale Magazine oder andere Angebote nachdenken kann.Wir wollen Golem sinnvoll erweitern, das geht nur über schlaue Köpfe. Die Variante, dass Inhalte kostenlos von Bloggern geschrieben werden, kann nicht das Modell sein, mit dem man online tolle Inhalte schafft.
Wenn ich einen Artikel auf meinem Blog veröffentliche, bringt er mir über Adsense und Co. den Rest meines Lebens Zinsen. Ist das bei Eurem Modell auch so?
Nein, die nächsten zehn Jahre jeden Monat ein Honorar zu berechnen und auszuzahlen, würde uns kaputtmachen – da wäre die Abrechnung teurer als der Verdienst. Da aber ein typischer Artikel 80 Prozent seiner Zugriffe in der ersten Woche hat, werden wir das Honorar nach dem neuen Modell wohl erst einmal nach einer Woche oder einem Monat deckeln.
Wann wollt Ihr starten?
Sofort. Nach dem ersten Aufruf hatten wir rund 80 Bewerbungen, von denen wir aber rund 80 Prozent absagen mussten. Denn wir brauchen weder PR-Texte noch Themen, die wir bereits selbst abdecken oder die zu weit vom Golem.de-Spektrum entfernt sind. Es waren aber auch einige Kandidaten dabei, die für uns interessant sind.
Wer ist besser für Euch: Ein Blogger oder ein Journalist?
„Ich glaube aber, dass jemand der das Schreiben gelernt hat, einfach effektiver schreibt und besser zu lesen ist.“Da muss man keinen großen Unterschied machen, Golem war auch einmal ein Blog und ist heute eine Medienmarke, die mit einer professionellen Redaktion arbeitet. Ich glaube aber, dass jemand der das Schreiben gelernt hat, einfach effektiver schreibt und besser zu lesen ist.Da hat der handwerklich ausgebildete Journalist natürlich einen Vorteil.
Ihr wollt also eher keine Seiteneinsteiger sondern Schreib-Profis?
Wir wollen Leute, die eine Leidenschaft für ein Thema haben oder sich beruflich damit beschäftigen. Wenn es zum Beispiel um Netzwerk- oder Servertechnik geht, muss das ein Fachmann sein. Bei weichen Themen, wo es um Geschichten und Reportagen geht, ist vielleicht der professionelle Schreiber spannender.
Golem lebt von einer Mischung, bei der wir sowohl über neue CPUs als auch netzpolitische Themen berichten – in diesem Feld sollen die Artikel stattfinden. Und für das richtige Thema lohnt sich auch der Aufwand, den Text nach journalistischen Kriterien zu überarbeiten.
Nochmal zum Schluss: Warum sollte ein toller Autor zu Euch kommen?
„Es geht uns um Klasse und nicht um Masse.“Weil das Paket aus Reichweite, Bekanntheit und Vermarktung für den jeweiligen Artikel attraktiver ist als die Selbstvermarktung oder ein Pauschalhonorar bei anderen. Wir wollen diese Autoren, von denen es in Deutschland nicht viele gibt, langfristig an Golem binden. Es geht uns um Klasse und nicht um Masse. Daher haben wir uns über ein neues Zahlungsmodell Gedanken gemacht.
Als unternehmerisch denkender freier Journalist (Quereinsteiger) finde ich die Bedenken gegen das Modell von Golem verständlich.
Es gibt jetzt schon eine starke Asymetrie in der Risikoverteilung zwischen Verlag und (freiem) Journalist. Ich verbringe einen erheblichen Teil meiner Zeit mit dem pitchen von Artikeln und nicht mit dem recherchieren und schreiben. Diese Zeit wird vom Auftraggeber nicht honoriert, ich muss selber dafür sorgen (und dafür einstehen), dass das Verhältnis stimmt.
Genauso ist die übliche Bezahlung von freien Journalisten schon jetzt in vielen Medien inakzeptabel. Ich weiss nicht, welche Tarife Golem normalerweise bezahlt, aber wenn Herr Ihlenfeld jetzt bei diesem neuen Modell von „50 bis 100“ Euro für einen „durchschnittlichen“ Artikel redet kann ich nur sagen: das ist Taschengeld, kein Einkommen, von dem man leben kann.
Natürlich werden auch die „Chancen“ geteilt. Dabei gibt es aber einen Denkfehler: Es ist unmöglich, als Journalist immer „überdurchschnittliches“ zu produzieren. Selbst die besten Journalisten produzieren in schöner Regelmässigkeit vollkommen durchschnittliche Texte. Dazu kommt, dass Textqualität nur ein Grund ist, warum ein Artikel „viral“ wird. Auf viele anderen Faktoren hat der Journalist überhaupt keinen Einfluss. Unterm Strich werden hier also mehr Risiken als Chancen auf den Journalisten abgeladen.
Das ist in Ordnung, solange das Modell keine Schule macht. Golem scheint es als Experiment zu verstehen und dabei auch ernsthaft an die beteiligten Journalisten zu denken. Unter diesen Umständen ist experimentieren vollkommen legitim und fördernswert. Vielleicht führt es dazu, dass einige Journalisten ihre herausragenden Texte in Zukunft hoch profitabel bei Golem unterbringen können, während ihre durchschnittlichen Arbeiten woanders zum Fixpreis unterkommen.
Wenn aber auch die grossen Verlage auf dieses Modell aufspringen, wendet sich das Blatt. Dann wird der freie Journalist noch stärker zur Risikominimierung herangezogen, als er das jetzt schon tut, ohne unterm Strich von den versprochenen Chancen profitieren zu können. Das bereitet auch mir Sorgen.
Ist das denn im IT-Journalismus tatsächlich so, dass Qualitätsartikel mehr Klicks bringen als leichte Kost? Allgemein ist es im Journalismus leider so, dass Lifestyle und Promis mehr Klicks bringen als z.B. politische Hintergrundberichte oder Nutzwertartikel über Probleme, die nur einen geringen Bevölkerungsanteil betreffen. Und Querfinanzierung funktioniert nur im größeren Paket.