Thomas Koch: „Journalisten müssen durch ein Tal der Tränen gehen“
7Media Manager Thomas Koch erzählt, wie sich Journalisten und Verlage heute vermarkten sollten und wie sich das Geschäft in den nächsten Jahren ändern wird.
Thomas Koch ist eine echte Marke. Der bekannte und erfolgreiche Media-Manager („tkmStarcom“) wurde als „Mediapersönlichkeit 2008“ ausgezeichnet, er ist Herausgeber des Medienmagazins „Clap“, Kolumnist bei „Wirtschaftswoche“ und jetzt auch „W&V“.
Ich habe ihn kennengelernt, als wir gemeinsam auf einem Podium der NGO MICT International in Berlin saßen und über Medienfinanzierung in Schwellenländern diskutierten. Denn Thomas Koch reist regelmäßig in die Arabische Welt, um dort (jungen) Medienmachern zu erklären, wie sie mit Journalismus Geld verdienen können.
Mein Gedanke danach war: Warum macht er das eigentlich nicht in Deutschland? Hier hätten eine Menge Journalisten eine ähnliche Beratung nötig, wir selbst sind in Sachen Medienfinanzierung zum Entwicklungsland geworden.
Und selbst wenn manche Journalisten heute wissen, wie sie ihr Publikum mit und ohne Verlage erreichen – von der Monetarisierung haben die wenigsten eine Ahnung.
Also wollte ich mir von ihm ein bisschen auf die Sprünge helfen lassen…
„Ich muss heute einzigartig sein“
Herr Koch, geben Sie mir doch mal ein bisschen Entwicklungshilfe in Sachen Vermarktung. Wie muss ich mit einem Werbekunden reden, damit er in meinem Blog Werbung schaltet?
Sie müssen Marketing-Deutsch reden.
Was heißt das?
Sie sagen zum Beispiel: „Ich bin die führende Webseite für werdende Mütter, Du bist Hipp und kannst ohne mich nicht leben. Du kannst natürlich auch auf einer Massenseite werben, aber das ist trotz Targeting ein teurer Spaß, denn Du zahlst für die vielen Leser mit, die gar nicht Deine Zielgruppe sind. Bei mir hast Du sie ohne Streuverluste.
Ich bin zwar nicht billig, aber hier kriegst Du was Du brauchst.“
Kann ein normaler Journalist so reden?
Nein.
Warum?
Das liegt an seiner Vergangenheit. Wenn ich heute zu einem Journalisten in Kairo sage, „Du musst Dich vermarkten“, sagt er, „Das ist ja interessant“ und macht das. Ein deutscher Journalist war es in den vergangenen Jahren gewohnt, sein Gehalt zu bekommen.
Einem solchen Menschen zu erklären, dass er sich nun vermarkten soll, ist schwer.
Die Trennung zwischen Redaktion und Anzeigen gilt aber als hohes Gut. Biedere ich mich nicht an, wenn ich mich selbst vermarkte?
Jeder wirbt für sich, den ganzen Tag in jedem Gespräch. Es ist nur ein Umdenken, dass ich mich gegenüber Werbekunden anbieten muss. Das ist natürlich eine andere Welt. Die Frage, die man sich stellen muss, ist: Wie hoch war ich bisher in meinem Elfenbeinturm des Journalismus gesessen?
Was meinen Sie mit Elfenbeinturm? Dass ich mich nicht ums Geld gekümmert habe?
„Früher hat der Journalist die Meinung vertreten: ‚Was der Leser liest, bestimme ich.’“Nein, dass Sie sich nicht um die Leser gekümmert haben. Früher hat der Journalist die Meinung vertreten: „Was der Leser liest, bestimme ich.“ Heute muss sich der Journalist fragen, „Für wen schreibe ich? Für was interessiert er sich?“ Und er muss auf Kommentare antworten.Und was hat das jetzt mit Vermarktung zu tun?
Es hat etwas mit Qualität zu tun. Qualität schafft Reichweite und Relevanz – und da muss ich mich auch gar nicht anbiedern, um meinen Journalismus vermarkten zu können. Aber um sich vermarkten zu können, müssen sie sich beweisen und einzigartig und unverzichtbar werden. Denn so ist es im Internet: Es gibt nur ein Ebay, ein Google und einen Postillon.
Das heißt, ich muss mich selbst als Person vermarkten?
„Heute schaue ich zuerst, wer es geschrieben hat. Und dann lese ich.“Ja, unbedingt. Früher habe ich Artikel gelesen und mich gar nicht dafür interessiert, wer sie geschrieben hat. Heute schaue ich zuerst, wer es geschrieben hat. Und dann lese ich. Das finde ich richtig geil.Viele Journalisten finden das gar nicht geil…
Ja, viele Journalisten halten mir bei solchen Aussagen vor: „Ich habe jetzt schon zwölf Stunden gearbeitet und kann jetzt nicht noch zwei Stunden am Tag Social Media machen und auf Leser-Kommentare reagieren.“
Aber nehmen Sie zum Beispiel Roland Tichy, den Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Der twittert nicht nur einfach als Einbahnstraße wie zum Beispiel die Rheinische Post, sondern nutzt Twitter zur Kommunikation mit seinen Lesern. Wenn ich ihm eine Nachricht auf Twitter schreibe, antwortet er auch. Die ganzen Wiwo-Journalisten, die ich heute über Twitter kenne, haben bei mir ein Vertrauen aufgebaut, das ich bei Print niemals entwickelt hätte.
Sie selbst twittern ja auch und schreiben mehrere Kolumnen.
Ja, mit großer Begeisterung. Meine Reichweite hat sich dadurch wesentlich vergrößert. Ich war zwar vorher schon eine, bin aber noch mehr zur Marke geworden.
„Jetzt müsste ich eigentlich eine Höllenangst vor einem 30-Jährigen haben, der mir meine Einzigartigkeit streitig macht.“Jetzt müsste ich eigentlich eine Höllenangst vor einem 30-Jährigen haben, der in einer Media Agentur sitzt, die Sprache seiner Altersgruppe spricht, sich gerade als Marke aufbaut und mir meine Einzigartigkeit streitig macht.Bisher ist das nicht passiert, aber ich warte geduldig. Die virtuelle Welt hat es in sich, neue Marken ganz schnell nach oben zu heben.
Sind die meisten Medienmacher zu bequem fürs Internet und die sozialen Medien?
Es gibt viele, die es nicht sind. Es ist unglaublich inspirierend, was ich zum Beispiel auf Twitter von und über Journalisten lerne. Ich finde hier sehr viel, was mir weiterhilft.
Welche Erkenntnis bringen sie eigentlich aus der Arabischen Welt mit nach Hause?
Ich habe dort unsere Medienwelt der Zukunft erlebt.
Wie bitte?
„Tunesien ist heute ein Land, das völlig Online lebt und uns um zehn Jahre voraus ist.“Ja, in Tunis sind 98 Prozent der Einwohner bei Facebook und 20 Prozent bei Twitter. Das Internet ist dort das Leitmedium. Weil die klassischen Medien dort jahrzehntelang von der Regierung gesteuert waren. Deshalb haben die Tunesier als erste die Fähigkeiten des Internets und der Social Networks begriffen. Tunesien ist heute ein Land, das völlig Online lebt und uns um zehn Jahre voraus ist.Tatsächlich müssen die Journalisten dort die Menschen erst wieder an gedruckte Medien gewöhnen.
Man muss sich das mal vorstellen: In einem Land, wo das Internet das absolute Leitmedium ist, gründen die Menschen Zeitungen, hier stampfen sie sie ein.
Das bringt uns zurück nach Deutschland. Wo geht es hin mit den deutschen Print-Medien?
„Die Leser wehren sich ja nicht gegen Papier, sie wehren sich gegen die Inhalte.“Der Wandel ist nicht aufzuhalten, die Dickschiffe verschwinden vom Markt. Die großen Magazine wie der stern werden zunehmend von Special-Interest-Titeln für bestimmte Zielgruppen abgelöst. Bei den Zeitungen müssen sich die Verleger überlegen, wie diese in Zukunft aussehen werden. Denn die Leser wehren sich ja nicht gegen Papier, sie wehren sich gegen die Inhalte.Wie meinen Sie das?
Der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat gesagt: „Die Zeitung überlebt nur mit den richtigen Köpfen.“ Ich vermisse zum Beispiel eine Mitteilung von der WAZ, die sagt, dass nicht nur einfach Redaktionen eingestampft werden, sondern auch in Journalisten investiert wird. Die sagt: „Wir strukturieren um, wir konsolidieren die guten Journalisten, die wir haben und setzen zum Beispiel auf investigative Lokalgeschichten.“
Dazu muss man aber auch Leute einstellen, die anders sind, als die, die man sonst so kennt. Vielleicht sind das die jungen Blogger, die auch die Sprache der jungen Lesergeneration sprechen.
Sehen Sie da eine Bewegung bei den Verlagen?
Vor einem Jahr haben sie solche Aussagen noch zu Tode erschreckt. Mittlerweile hören sie zu und bemerken, dass da vielleicht was sein könnte.
Was muss ein Verlag tun, um zu überleben?
„Ich würde jedem Verleger die Frage stellen: ‚Was ist Ihr Mission Statement?’“Ich würde jedem Verleger die Frage stellen: „Was ist Ihr Mission Statement? Was bezwecken Sie außer Geld verdienen?“ Denn das war seine bisherige Absicht.Warum braucht er dieses Mission Statement?
In den Zeiten der Selbstverständlichkeit der Zeitung hat man völlig vergessen, dem Leser zu erklären, wer man ist und was seine Zeitung mit ihm vor hat. Wenn er in Zukunft Geld verdienen will, braucht er ein Mission Statement, das eine qualitative Aussage hat. Wenn er zum Beispiel sagt, „Ich will Meinungsbildner und Freund sein”, dann muss er nur noch auf seine Zeitung blicken und wird sofort sehen, was er ändern muss.
Was muss sich ändern?
Im Grunde muss sich ein Verleger das Internet ansehen und dann ein Printprodukt liefern, das das Internet nicht bieten kann. Man stößt schnell auf lokale, hochwertige Inhalte, die überraschen. Das funktioniert ja schon: Wenn ich heute Zeitungen aufschlage und finde ich immer wieder Themen, die mich völlig überraschen und empfinde das als positiv.
Bis dahin werden aber noch viele Journalisten ihren Job verlieren…
„Sie müssen jetzt erstmal nach ganz unten und von da aus wieder aufsteigen. Das ist ein ganz bitterer Schluck aus der Pulle.“Ja, sie müssen jetzt erstmal nach ganz unten und von da aus wieder aufsteigen. Das ist ein ganz bitterer Schluck aus der Pulle, aber immer noch besser, als in anderen Medien-Berufen wie etwa die Setzer, die plötzlich ohne Alternative auf der Straße standen. Es ist aber ein langes Tal der Tränen, durch das viele Journalisten gehen müssen.Wie steige ich wieder aus dem Tal der Tränen auf?
Indem Sie zur Marke werden und so Ihren Marktwert steigern. Im Internet werden jeden Tag neue Marken geboren. Da müssen Sie dabei sein.
Wenn ich eine Marke bin, wie verdiene ich dann mein Geld?
Ich würde mich mit anderen vernetzen, mit vielen Gleichgesinnten, die vielleicht auf andere Themen spezialisiert sind. Der eine macht Politik, der andere Wirtschaft und der andere Sport.
Aber eine Vermarktungsvernetzung gibt es doch schon, zum Beispiel mit den Vertical Networks – und das funktioniert eher mäßig.
„Der gesamte Online-Markt steht vor einer Konsolidierung. Es werden sich zunehmend Online-Agenturen herausbilden, die gute journalistische Angebote vermarkten können.“Trotzdem hat das meiner Meinung nach eine große Zukunft. Der gesamte Online-Markt steht vor einer Konsolidierung. Es werden sich zunehmend Online-Agenturen herausbilden, die gute journalistische Angebote vermarkten können.Die großen Media Agenturen werden das nicht sein. Denn die haben nur ein Interesse: mit möglichst wenigen Vermarktern zusammen zu arbeiten, um den Markt abzudecken und sich nicht im Kleinklein zu verlieren.
Eine Forderung, die ich aus meinen Einsätzen in der Arabischen Welt mit nach Deutschland mitnehme ist: Wende Dich direkt an die Kunden, versucht aus der Umarmung der Mediaagenturen raus zu kommen, die arbeiten nur noch im Eigeninteresse, das kostet immer Geld. Firmen sollten also Media-Kompetenz im eigenen Haus aufbauen.
Was muss ein Journalist nun tun?
„Wenn Nachfrage erzeugt wird, steigert das den Preis. Je bekannter man ist, umso besser kann man sich selbst vermarkten.“Er muss dafür sorgen, dass er am Markt gehört wird. Das geht wieder nur über Qualität. Über kurz oder lang wird es möglich sein, damit Geld zu verdienen. Aber es ist sehr mühsam. Der Witz ist aber: Wenn Nachfrage erzeugt wird, steigert das den Preis. Je bekannter man ist, umso besser kann man sich selbst vermarkten.Ich habe den festen Glauben, dass man durch Qualität und Nachfrage den Preis steigern kann. Allerdings sprechen wir hier immer noch von Lousy Pennies.
Zum Schluss noch eine Frage: Warum engagieren Sie sich für die Entwicklung der Medien in den Schwellenländern?
Das gibt mir die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Ich hatte ein tolles Leben und eine Riesenkarriere und bin dankbar dafür. In den arabischen Ländern arbeiten die Journalisten unter schwersten Bedingungen völlig ohne wirtschaftliche Basis – und ich vermittle ihnen die Kenntnisse über das Marketing und die Medienwelt, das sie brauchen, um der internationalen Werbewirtschaft mit Coca Cola & Co. auf Augenhöhe entgegen zu treten.
Das alles ist aber nicht nur ein Geben sondern ein ebenso großes Nehmen. Ich empfinde das als über alle Maßen Horizont erweiternd, so dass ich keine einzige Reise missen möchte.
Lieber Herr Koch, vielen Dank für das tolle Gespräch.
Ich finde es zwar sehr schön und interessant, dass ihr zahlreiche Journalisten zu Wort kommen lasst, aber Artikel anderer Art wären auch mal wieder ganz nett. :)
Es kommen auch bald wieder andere Artikel aus den Ressorts Polemik und Praxis – versprochen. In unseren Köpfen sind die praktisch schon geschrieben ;-)
Der Klassiker:
„Der Artikel ist fertig, muss ihn nur noch schreiben.“
Wäre auch mal ein Thema: Was tun ohne Deadline :)
Da LousyPennies als Herzensprojekt nebenher produziert wird und ich meinen Lebensunterhalt ja mit anderen Dingen verdiene, ist das bei mir tatsächlich oft nur von der verfügbaren Zeit abhängig. Da mir die Arbeit an LousyPennies so viel Spaß macht, brauche ich gar keine Deadline, um mich zu motivieren – nur Zeit…
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