Links der Woche: Richtig twittern in der Krise, Breaking-News, Crowdsourcing-Trolle, Aufbruch
0Gerade ist eine Woche zu Ende gegangen, die uns wieder mal vor Augen geführt hat, wie wichtig journalistischer Sachverstand und journalistische Ethik in Zeiten von Bürgerjournalismus, Twitter und Facebook sind. Denn die Hexenjagd auf Unschuldige, die während der Fahndung nach den mutmaßlichen Bombern von Boston in den sozialen Medien stattgefunden hat, sollte nicht nur mich entsetzt haben. Und ja, auch so manches neue und alte Medium hat sich dabei keineswegs mit Ruhm bekleckert.
Für mich ist erneut klar geworden: Die neue, soziale Medienwelt braucht erfahrene Kurateure, die die Relevanz von Quellen erkennen können, die wissen, was Persönlichkeitsrechte sind und nicht sofort jede Mutmaßung hinaus twittern. Kurateure, die die Mechanismen der neuen und alten Medien im Detail kennen und die Flut der Informationen kanalisieren und filtern können. Nennen wir diese Kurateure einfach mal Journalisten.
Und jetzt zu den Links der Woche, in denen sich auch die Ereignisse von Boston widerspiegeln:
Thou Shalt Not Stoop to Political Point-Scoring – A journalist’s guide to tweeting during a crisis.
Jeder Journalist kann und sollte twittern. Gerade während einer aktuellen Krise wie jetzt in Boston, ist Twitter nicht nur das schnellste Medium, um die eigenen News nach draußen zu bringen, sondern auch ideal, um sich aus erster Hand zu informieren. Wie man als Journalist richtig twittert, das hat Jeremy Stahl auf slate.com sehr schön zusammen gefasst. Sein wichtigster Tipp: Verlasse Dich nicht auf irgendwelches Hörensagen über Twitter, nutze offizielle Twitter-Accounts wie in diesem Fall z.B. das Boston Police Department, als verlässliche Basis. Danach müsse man die verlässlichen Quellen vor Ort heraus filtern, etwa die lokale Zeitung, deren Reporter vor Ort seien – und auch oft gut mit den Behörden vernetzt sind. Man selbst solle wenig spekulieren und einen seriösen Ton wahren und sich keinesfalls dazu verlocken lassen, der erste zu sein, der eine Story verbreitet und sich dabei die Finger zu verbrennen. Ich finde, der Text ist ein Must-Read für jeden Journalisten, der sich mit der Thematik „Twitter-Reporting“ beschäftigt.
Claus Kleber: Das können Sie alles bloggen!
Richard Gutjahr hat Claus Kleber interviewt – und der Anchor des „heute journals“ hat viele schlaue und interessante Sachen gesagt. Der wichtigste Satz ist eine alte Journalistenweisheit, die man sich gerade angesichts der Ereignisse in Boston immer wieder ins Gedächtnis rufen sollte: „Be first. But first be right.“ Natürlich sollte es der Anspruch eines jeden News-Journalisten sein, der erste mit einer „Breaking News“ zu sein – man sollte aber auch sicherstellen, dass sie stimmt…
Die schönsten Kommentare zum Thema Crowdfinanzierung
Netzpolitik.org gehört bekanntlich zu einem der meistgelesenen und auch relevantesten Blogs im deutschen Netz. Nun haben die Kollegen versucht, ihr Angebot mir freiwilligen Spenden auf eine „weitere Finanzierungssäule zu stellen“. Ein sehr legitimer Ansatz, wie ich finde. Was dann kam, erinnert mich ein bisschen an unseren Lieblingstroll, dessen Kommentare in einem gewissen sozialen Netzwerk mir regelmäßig den Blutdruck steigen lassen. Die besten Troll-Kommentare hat Markus Beckedahl zusammen gefasst. Zum Beispiel: „Na sowas, eine Website die sich dafür einsetzt alles gratis zu machen macht Verluste und muss um Geld betteln… amüsant!“ Ich jedenfalls fand die Kommentare der Leser, die offensichtlich nicht verstanden haben, worum es hier ging, so amüsant, dass ich vor lauter Lachen fast nicht den Flattr-Knopf gefunden hätte, um meinen, kleinen Beitrag zu leisten.
Generation Aufbruch
Dieser Text von Eva-Maria Manz macht mir mal wieder richtig Mut und Spaß. Die 29-Jährige ist Volontärin der Stuttgarter Zeitung und erklärt uns, warum heute immer noch so viele junge Menschen Journalisten werden wollen – und warum wir Älteren endlich mal aufhören sollten zu jammern und uns selbst zu bemitleiden (sie sagt das nicht so deutlich, aber ich empfinde das so). Ein sehr schönes Lesestück, das mit einem Rückblick auf die Gründung der Stuttgarter Zeitung beginnt und sich dann der Motivation der heutigen Nachwuchsjournalisten aus der Generation der „Umdiedreißigjährigen“zuwendet. Ihnen gehe es eben nicht um „Dienstwagen und Altbauschick“, sondern um „einen Beruf, der Spaß macht, der erfüllt, der in irgendeiner Form Sinn ergibt“. Schön!
The end of big (media): When news orgs move from brands to platforms for talent
Immer wieder höre ich in Diskussionen unter Journalisten-Kollegen: „Die Zeit der Verlage ist vorbei“ und „Die Verlage sind doch schon längst tot.“ Ich glaube, dass dieser Blick recht überheblich ist. Denn ich bin fest überzeugt, dass viele deutsche (Groß-)Verlage durchaus die Kraft und die Möglichkeiten in sich haben, auch die nächsten Jahrzehnte erfolgreich zu arbeiten. Gerade deshalb finde ich den Ansatz , den Nicco Mele und John Wihbey in diesem Beitrag für das Nieman Lab vertreten, ziemlich schlau und gut: Durch das soziale Internet schwinden zunehmend die alten Verlagsmarken – und die Journalisten werden selbst zu Marken. Die Medienwelt wird individueller. Die Leser suchen sich die Beiträge, die sie interessieren – und nicht ein ganzes Paket wie in einem Print-Magazin oder einer Zeitung. Sie folgen nicht mehr einer Medienmarke mit anonymen Schreibern, sondern bestimmten Journalisten, denen sie vertrauen. Die Verlage, so Mele und Wihbey, müssen das erkennen und zur Plattform für diese Medienschaffenden werden. Ich werde mir sicher auch das Buch von Nicco Mele besorgen: „The End of Big“.