Wir Journalisten verschlafen die Revolution
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Neulich kam mein lieber Kollege Marius von der Katalogvorstellung der TUI in Dubai zurück, also von einer jener wunderbaren Reisen, zu der Journalisten von großen Unternehmen eingeladen werden. Die interessanteste Botschaft, die Marius mitbrachte, waren nicht die neuesten Reisetrends, sondern die:
„Die TUI hat in diesem Jahr zum ersten Mal auch Blogger eingeladen.“
Puh…
Blogger.
Blogger!!!!
Für viele meiner Kollegen sind Blogger ja so etwas ähnliches wie Deutschlehrer. Sie meinen schreiben zu können, sind aber keine Journalisten. Wahre Journalisten schreiben bei gedruckten Medien wie Spiegel, Süddeutsche, Hörzu, Das neue Blatt oder der Financial Times (R.I.P) und haben eine fundierte Ausbildung durch ein Volontariat oder eine Journalistenschule absolviert. Na ja, ein Online-Ableger geht gerade noch…
Aber Blogger! Oh mein Gott! Das sind doch Amateure, Hobbyschreiber, die belächelt werden.
Diese Haltung halte ich für arrogant. Und für gefährlich.
Denn während die Blogger immer wichtiger für die öffentliche Meinungsbildung werden, werden wir „wahren“ Journalisten immer unwichtiger. Und das selbstverschuldet. Denn wir überlassen den talentierten und engagierten Amateuren das Feld, weil wir seit Jahren das Phänomen Bloggen einfach nicht ernst genug nehmen.
Die Folge: Wir verlieren an Relevanz – und unsere Jobs.
Ein großes Unternehmen wie die TUI ist pragmatisch. Es lädt diejenigen Medienmenschen zu einer Pressekonferenz ein, die es für relevant hält. Die mit ihren Medien entsprechend viele Menschen erreichen. Dabei ist es schon fast egal, ob das jeweilige Medium eine Tageszeitung, ein Online-Portal oder eben ein Blog ist. Und offensichtlich werden die Blogger dabei immer wichtiger.
Müssen wir deshalb alle zum Blogger werden?
Mit Sicherheit nicht. Aber wir müssen uns noch stärker mit dem Phänomen beschäftigen, dass heute jeder in der Lage ist, seine Sicht der Dinge im Internet zu veröffentlichen. Egal ob nun ausgebildeter Journalist oder nicht.
Wir dürfen uns von der einst verlachten Revolution nicht überrollen lassen. Wir müssen uns der neuen Konkurrenz stellen, die nötigen technischen Fähigkeiten erlernen, die Zeit und das Herzblut investieren, die für eine tolle Internet-Präsenz wichtig sind – sei es nun ein Blog, ein Portal oder was auch immer. Wir müssen Wege und Ideen finden, unseren Lebensunterhalt auch durch das Veröffentlichen im Internet zu bestreiten.
Und wir müssen uns ganz schön anstrengen. Denn viele der Blogs von angeblichen Amateuren sind verdammt gut. Journalistische Ausbildung hin oder her.
P.S. Eine schöne Betrachtung aus Bloggersicht zu genau diesem Thema findet sich übrigens hier bei der Bloggerin Christine Neder, die selbst in Dubai dabei war.
Hier die Reiseberichte der Blogger aus Dubai:
http://www.breitengrad53.de/eine-videoreise-durch-dubai/
http://www.lilies-diary.com/unterwegs-in-dubai-tagesausflug-nach-abu-dhabi/
http://www.smaracuja.de/dubai-aus-dem-bus/
http://www.koeln-format.de/2012/11/11/ein-trip-mit-tui-nach-dubai-per-instagram/
http://reisedepesche.de/2012/11/sounds-of-dubai/
http://niedblog.de/2012/11/26/hoch-hinaus-oder-dubai-sein-ist-alles/
http://www.breitengrad53.de/eine-videoreise-durch-dubai/
http://vonunterwegs.com/category/arabische-welt/dubai-reise/
http://ichweisswo.blogspot.de/2012/11/kleine-versohnungen-in-und-mit-dubai.html
Disclaimer:
Als Reisejournalist und Corporate Publisher nehme ich ebenfalls des öfteren – und gerne – an bezahlten Reisen der Veranstalter teil.
Eine kleiner Nachtrag:
Ein Kollege von der CHIP schrieb mir Folgendes, nachdem er diesen Beitrag gelesen hatte:
Falls das für dich interessant ist – diese Entwicklung gibt es nicht nur im Tourismus-Sektor. Beim Launch von Windows 8 in Barcelona hat Microsoft die gesamte Fachjournalistenschar ignoriert und dafür den Saal mit den wichtigsten IT-Bloggern gefüllt.
Hey…
Vielen Dank für den Beitrag!
Ich würde gerne noch ergänzen, dass nicht wenige Blogger auch offiziell Journalisten sind. Ich zum Beispiel arbeite seit über 12 Jahren als TV-Redakteurin, mit Volontariat und so. Und auch als Fotojournalistin war ich eine Zeit lang unterwegs. Also ich betrachte Themen von dreierlei Seiten…
Liebe Grüsse,
Heike
Hallo Heike, ja genau, daran glaube ich fest: Die Grenzen verwischen. Journalisten können bloggen, Blogger Journalisten sein.
Die großen Unternehmen sind nicht pragmatisch – die haben schlicht die Relevanz der Key-Blogger für die Meinungsbildung erkannt. Und nutzen sie, im besten Sinne, für eine zielführende Öffentlichkeitsarbeit. Jede PR-Agentur, die nicht grade hinterm Mond lebt, wird ihren Kunden die wichtigsten Blogger als Multiplikatoren empfehlen – das gehört (schon seit längerem) schlichtweg dazu…
Na wenn das nicht pragmatisch ist… ;-)
Lieber Karsten,
danke für den Beitrag!
Hier haben wir die Reaktionen in Dubai auch noch einmal aufgeschrieben, was zu einer interessanten Diskussion in den Kommentaren geführt hat:
http://reiseblogger-kollektiv.com/das-reiseblogger-kollektiv-in-dubai/
(Falls du es noch nicht gesehen hast ;))
Nina
Hallo Nina, danke für den Link. Ich finde es extrem spannend, dass sich diese Diskussionen unabhängig entwickelt haben. Denn tatsächlich habe ich mit meinem Beitrag lange begonnen, bevor ich die ganzen Diskussionen, die es bereits über das Thema gab, bemerkt habe. Umso interessanter ist es jetzt natürlich für mich, das jetzt zu verfolgen.
Hallo Karsten,
ich denke ein Klischee das „richtige“ Journalisten über Blogger haben, ist dass Blogger Amateure sind, jung und hungrig (und für jeden Scheiss zu haben). Ja, solche Blogger gibt es.
Viele Blogger sind allerdings weder amateurhaft, noch jung oder hungrig, sondern machen einfach nur ihren Job. Und das ist es mittlerweile, bloggen ist ein Job und kein Hobby mehr für viele von uns. Damit einher geht natürlich eine Professionalisierung, Monetarisierung und vieles mehr. Dazu braucht man mehr als Jugend und Hunger. Dafür braucht man Ausdauer, Talent, Kreativität, Ernsthaftigkeit, und ach so vieles anderes noch… dafür ist man dann sein eigener Chef und das macht ganz schön viel Spaß :D
(Ich für meinen Teil, bin übrigens auch eine von den „Joggern“ (Tv-Journalistin+Bloggerin) nich mehr gaaaaaaaaanz so jung und im Moment ziemlich vollgestopft mit Essen. :D
Liebe Grüße aus Luang Prabang!
Yvonne
Dieser Kommentar spricht mir aus dem Herzen! :-) (Ich streich das mit jung und hungrig dann aus meinem Post)
Dem Input von Yvonne kann ich mich nur anschliessen. Auch wenn ich eher ein Senior-Blogger mit fast 45 (heul) bin, ist es längst mehr als ein Hobby und auch ich bin ein echter Journalist (gibt es echt, sogar mir abgeschlossenem Studium, man glaubt es kaum…) Ich bin trotzdem hungig und fühle mich manchmal (aber selten) jung ;)
Grüße aus Macau,
Jörg
[…] Gedanken übers Geldverdienen mit Journalismus im Netz (im Aufbau) Impressum AllgemeinWarum ich über Lousy Pennies blogge « Wir Journalisten verschlafen die Revolution […]
Mein Gefühl ist, dass Unternehmen gern Blogger einladen, weil sie sich erhoffen, diese noch leichter kaufen oder beeinflussen zu können als Journalisten, die eine Redaktion hinter sich haben, wo es ein Mehraugenprinzip gibt (was nicht heißt, dass dort immer alles super funktioniert). Ein Blogger aber ist alleine und hat in der Regel selten jemanden, der mal gegenliest, Fakten checkt oder sich kritisch mit seinem Ansatz beschäftigt.
Außerdem vermisse ich gerade bei Bloggern, die sich mit Consumerthemen beschäftige häufig eine kritische Einstellung bzw kritisches bis investigatives Recherchieren. Der Grund dafür ist mir klar: Das kostet Zeit und Geld und das zahlt einem Blogger niemand. Ganz abgesehen davon, dass solche Artikel längst nicht so beliebt sind, wie Testartikel oder Produktbesprechungen.
Und gerade wenn ich mir so manche Modeblogs anschaue denke ich jedes Mal: Als Unternehmen würde ich die auch umschmeicheln. Billigere PR kriegt man nirgendwo. Und dann ist es auch noch so schön authentisch.
Disclaimer: Ich lehne es ab, dass sich Journalisten (egal ob Blogger oder nicht) von einem Unternehmen auf teure Pressreisen einladen lassen und Produkte geschenkt bekommen. Und ich habe auch selber gebloggt, bis ich es aus Zeitmangel vorerst eingestellt habe.
Zitat: „Denn viele der Blogs von angeblichen Amateuren sind verdammt gut.“
Ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Oder beziehst du dich nicht auf die schriftlichen Ergüsse nach der Dubai-Reise? Mein schönstes Ferienerlebnis in digital, würde ich eher sagen. Und zwar in wüster Rechtschreibung. (Äh, war da einer dabei, der in seinem Text „Stadt der Superlative“ nicht drin hat??)
Kleiner Irrtum von Nils: „Die großen Unternehmen sind nicht pragmatisch – die haben schlicht die Relevanz der Key-Blogger für die Meinungsbildung erkannt. Und nutzen sie, im besten Sinne, für eine zielführende Öffentlichkeitsarbeit.“
Für klassische PR sind Blogs kaum verwertbar, ihre Reichweite ist minimal. Das einzige, was sie bringen, ist SEO: Dass ein Unternehmen bei Google weiter nach vorne rutscht. Übrigens: Nach den Copytests aus den Mitte der 2000ern interessiert das Thema keine Sau: Wahrnehmung des Reiseteils der Süddeutschen mit 3 Prozent geringer als das Feuileton.
Und jetzt noch was Ketzerisches: Zeig mir einen Blogger, der von seinem Blog leben kann.
Wenn ich eines hier nicht machen werde, dann Kollegen-Bashing. Zur Qualität der einzelnen Texte der Dubai-Blogger, von denen übrigens einige im „wahren Leben“ tatsächlich ausgebildete Journalisten sind, kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Jeder, der sich mit mehr oder weniger hochwertigen Texten an die Öffentlichkeit wagt und damit ja auch negative Kommentare und Shitstorms riskiert, hat allerdings meinen größten Respekt. Egal ob Blogger, Jogger oder klassischer Journalist. Und über die Wahrnehmung und den „Wert“ von Beiträgen z.B. für SEO entscheidet im Netz eine ganz einfache Währung – eben die Zugriffszahlen und Google…
Und zur Ketzerei: Darum geht’s in diesem Blog. Ich suche nach dem Heiligen Gral, der uns zeigt, wie man vom Bloggen (oder wie man das Veröffentlichen im Netz auch nennen möchte) leben kann. Du bist herzlich eingeladen, mich hier kritisch zu begleiten. ;-)))
Auch wenn es schon gesagt wurde, möchte ich mich dem nochmal anschließen und betonen: Blogger sind keine Journalisten zweiter oder gar dritter Klasse. Manche ja, andere nein. Aber pauschal kann man das nicht (mehr) sagen. Auch wenn die deutsche Bloglandschaft der US-amerikanischen noch weit hinterher hinkt, hat sie sich in den letzten Jahren doch zunehmend professionalisiert. Ich sehe sie nicht als Bedrohung zum Journalismus, sondern als Ergänzung.
Und so wie ich als gelernter Dipl. Online-Journalist nun blogge, bloggen eben auch viele andere mit journalistischem Hintergrund, die ihr Handwerkszeug beherrschen.
Auf meinem Blog habe ich übrigens vor kurzem genau über dieses Thema einen Artikel geschrieben: Das Leben eines Bloggers
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Wenn Christine Neder selbst in Dubai dabei war, warum hat den Beitrag dann ihre Co-Bloggerin Melli (Melanie) geschrieben?